Formgestaltung mit allen Sinnen erleben – Sebastian Herkner über Slow Design

Der kreative Produktdesigner transportiert Kultur und Handwerk in die Moderne

Im Interview mit Sebastian Herkner, Product Designer

Sebastian Herkner
Sebastian Herkner Apartment One Forty West Frankfurt for Commerz Real

Autor: Haus von Eden

Er ist preisgekrönter Designer und erzählt die Geschichten hinter den Produkten. Sebastian Herkner entwickelt post-moderne Design-Ikonen für Hersteller wie Cappellini, Dedon, Pulpo, Rosenthal, Thonet oder Wittmann. Dabei arbeitet er in enger Zusammenarbeit mit den Handwerkern vor Ort und interpretiert Tradition auf kontemporäre Weise. Mit uns spricht der Produktdesigner aus Offenbach über seine Definition von Slow Design und warum die Balance zwischen Handwerk und Technologie für ihn besonders wichtig ist.

"Meine Designs sind für Menschen auf der Suche nach Qualität und Echtheit des Materials - Es geht mir um Authentizität und die Story hinter dem Produkt"

Welche Rolle spielt Verantwortung bei Deiner Arbeit?

Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren öffentlich zu einer starken Bestrebung geworden. Mir war das ehrlich gesagt schon sehr früh bewusst. Nämlich 2007, zum Ende meines Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach: Damals war Offenbach als Kleinstadt bekannt für seine Lederindustrie und -handwerk. Mit Marken wie Seeger und Montblanc, die hier ihre Lederwaren produziert haben. Mitte der 2000er sind diese Firmen aber abgewandert oder gingen insolvent. Die Stadt hat damit ihre Identität zum Lederhandwerk, das verbindende Element und somit das Typische für seine Region und Kultur verloren.

bell table

Bell Table - Quelle & Copyright by Sebastian Herkner

In meinem Studium ging es gleichzeitig vor allem um neue Materialien und Technologien. Ich habe das aufgrund der Entwicklung in Offenbach hinterfragt und mich mehr für die Werte und Bedeutung des Handwerks interessiert. Damit bin ich damals gegen den Strom geschwommen. Ich habe 2009 das Design für den „Bell Table" - ein mundgeblasener Glastisch mit Metallplatte - entwickelt und habe dabei die Aspekte der Nachhaltigkeit in Sachen Material und Produktion mit eingebaut. Aber auch eine gewisse soziale Nachhaltigkeit, um das Handwerk zu wahren.

Was ist für Dich Slow Design?

Ich denke bei der Nachhaltigkeit geht es nicht nur um das Produkt, sondern um die ganze Geschichte dahinter. Wie wird produziert? Wo wird produziert? Wer sind die Leute dahinter? Das ist auch ein wichtiger Teil meines Designansatzes. Die Balance zwischen Tradition und Innovation sowie zwischen Technologie und klassischem Handwerk. Also neben Material und Produktion, spielt auch der Human-Rights-Aspekt eine wichtige Rolle. Das ist für mich Slow Design.

Sebastian Herkner Thone

118 F Chair for Thonet - Quelle & Copyright by Sebastian Herkner

Slow Design und Sustainability sind stark miteinander verbunden. Es beinhaltet ein bewussteres Entwerfen vom Designer und Produzieren vom Kunden. Aber definitiv auch einen bewussten Konsum von der Kundenseite die einhergeht mit einer gewissen Wertschätzung der Dinge. Noch zu selten werden Produkte wie Möbel hierzulande als ein langfristiges Investment gesehen, die einen ein lebenslang begleiten können, oder als Objekte, die man nach Jahren ohne Scham und Zweifel weiterverkaufen und weiterverschenken kann. Das ist in Skandinavien ganz anders. Design ist dort Teil der Kultur und in vielen Wohnzimmern hängt eine klassische Design-Leuchte. Die Kaufentscheidung wird weniger durch Geiz getrieben.

Der Preis spielt für die Konsument*innen natürlich eine große Rolle und es gibt viele Premiumprodukte im Design Segment. Bei dem 118 Holzstuhl von Thonet haben wir es aber zum Beispiel bewusst geschafft, ein Produkt mit einem deutschen Traditionshaus zu entwickeln, das auch preislich konkurrenzfähig und interessant ist. Bei meinem Bell Table, der sicherlich aufgrund seiner Herstellung nicht für jeden sofort leistbar ist, haben mir Kund*innen sogar erzählt, dass sie auf das Produkt hin gespart haben. Das ist eine unglaubliche Wertschätzung für mich.

Design-Ikonen sind hingegen etablierte Entwürfe von Klassikern, die man schnell erkennt und die meist wertstabil sind. Mutiger hingegen ist es in etwas Neues und Unbekanntes zu investieren, wo man nicht weiß, ob wie es sich damit in ein paar jähren verhält. Aber das Wichtigste ist es, Produkte mit einer entsprechenden Qualität und einem gewissen Service zu kaufen, die reparierbar sind und somit lange erhalten bleiben. Da müssen wir unsere Einstellung ändern und die Konsument*innen weiter aufklären.

Du hast ein Praktikum bei Stella McCartney absolviert, was war der Grund und was Dein wichtigstes Learning?

Das Praktikum bei Stella McCartney ist fast 20 Jahre her und ich bin da sehr zufällig rangekommen. Ich entwarf und bemalte für Freunde aus dem Fashion Umfeld Jacken und Stella hat das gesehen und gefragt von wem das sei. So kam ich mehr oder weniger dahin. Es waren die Anfänge ihrer Selbständigkeit mit einem kleinen Team von fünf Designer*innen und zwei Praktikant*innen. Das Besondere für mich war, dass sie zu der Zeit bereits ihre eigene Haltung entwickelt hatte, ihre eigene Handschrift und Philosophie. Damals war es wahnsinnig mutig in der Fashionindustrie auf tierische Pelze und Leder zu verzichten. Und genau damit wurde sie zur Pionierin und man kann heute sehen, wie wichtig es ist, eine eigene Philosophie zu entwickeln.

Sebastian Herkner Tulip

New Imi Side-Table for Pulpo - Quelle & Copyright by Sebastian Herkner

Bei mir ist es die Verbindung zwischen Innovation & Tradition sowie Handwerk & Technologie. Natürlich benutzen wir auch die modernste Technologie, aber mir ist es wichtig, dass ein Produkt nicht danach schreit. Ich will eine Balance erreichen. Zum Beispiel wird bei dem 118 Stuhl für Thonet das Bugholz nach hundertjähriger Tradition gebogen, aber dann mit modernsten CNC Maschinen in die finale Form fräst. Man nutzt somit das Gute aus beiden Welten.

Wie funktioniert Deine Zusammenarbeit mit den Herstellern und was ist Dir wichtig dabei?

Bei der Zusammenarbeit mit den Herstellern kommt es für mich drauf an, dass ich meinen Gegenüber verstehe, dass wir eine gemeinsame Sprache sprechen und eine gemeinsame Vision haben. Erst dann kann das Produkt erfolgreich werden. Manchmal gibt es diesen Punkt, da kann ich keine Kompromisse eingehen. Ich muss zum Beispiel die Produktionsstätten kennen und das muss mir der Hersteller gewährleisten können, sonst fehlt das Vertrauen. Erst dann kann ich authentisch die Geschichten und Erfahrungen aus der Produktion in meinen Designs erzählen.

Auch entstehen Innovationen meist im Dialog mit dem Herstellern. Wenn man Nachhaltigkeit und Innovation immer nur sichtbar nach Außen transportiert, ist es am Ende auch nur Marketing. Denn beides muss tief in der Entwicklung neuer Produkte verwurzelt sein, es kann in der Verpackung sein, im Herstellungsort oder Transport. Produkte aus recyceltem Kunststoff zu machen, ist für mich größtenteils Greenwashing. Denn es ist doch erschreckend, dass es diesen Plastikmüll überhaupt gibt und besser wäre eine komplette Reduktion des Abfalls anzustreben.

Taru Sofa für Ligne Roset - Quelle & Copyright by Sebastian Herkner

Ein Fokus von Dir liegt auf der "Echtheit des Materials", wie hängt das mit Nachhaltigkeit zusammen?

Sehr viele Materialien, mit denen wir arbeiten, sind echte Materialien, wie Holz, Stein und Glas. Zum anderen ist es entscheidend, ob das hinsichtlich Produktion, Materialeinsatz und Lebensdauer überhaupt sinnvoll eingesetzt werden kann. Vor allem bei wertvollen natürlichen Materialien, wie Marmor, welche nicht so einfach nachwachsen, spielt das eine große Rolle. Natürlich sind bei uns auch neue Materialien oder Beschichtungen für die Oberflächenbearbeitung im Einsatz. Das Design muss funktionieren. Dazu gehört es auch, darüber nachzudenken, wie ein Produkt benutzt wird und altert – und zwar im positiven Sinne wie das lederne Stiftemäppchen meines Großvaters.

Let Lounge Chair for Fritz Hansen - Quelle & Copyright by Sebastian Herkner

Wie sieht Dein Designprozess aus und woraus schöpfst Du Inspiration?

Inspiration kann man aus allem schöpfen: Freunde, Reisen, Museen oder Kunst. Dabei ist das Reisen in ferne Länder ein Privileg für mich. Das wichtigste sind dabei für mich die kulturelle Neugier und Unvoreingenommenheit. Ich möchte die Kultur, Menschen und Küche so authentisch wie möglich kennenlernen. Mit den Menschen vor Ort arbeiten, um zu verstehen was typisch für das Handwerk ist. Im Dialog und mit Respekt, Design mit allen Sinnen erleben. Ich finde es gerade schön, die Unterschiedlichkeiten zu entdecken, vor allem in Asien, Afrika oder Südamerika ist das noch möglich.

Viel schwieriger finde ich es, die Inspirationsquellen zu einer Idee weiterzuentwickeln. Da spielt die eigene Intuition eine große Rolle und zum richtigen Moment den richtigen Partner zu finden. Das ist für mich persönlich auch eine sehr emotionale Entscheidung, die intuitiv passiert. Natürlich entwickelt sich das Design dann von der Idee bis zum Endprodukt weiter. Das passiert vor allem im Dialog mit meinem Team und dem Hersteller. Hier ist es wichtig dass man eine gemeinsame Vision hat, die man anstrebt. Hier muss man auch Kompromisse eingehen, die die Produkte auch verbessern können, z.B. effizienter, ökologischer oder ökonomischer machen.

Was ist Deine Design Message?

Meine Designs sind für Menschen auf der Suche nach Qualität und Echtheit des Materials. Es geht mir persönlich um Authentizität und die Story hinter dem Produkt. Vielleicht ist es in digitalen und rasanten Zeiten noch wichtiger, Produkte zu haben, die hinsichtlich des Materials an Vertrautes erinnern und eine gewisse Geborgenheit erzeugen. Worauf ich mich besonders freue, ist es, meine Designs wieder live vorstellen zu dürfen. Das ist meiner Ansicht nach wichtig, um das Design zu begreifen, es zu fassen, zu fühlen und zu riechen und es mit allen Sinnen aufzunehmen.

Vielen Dank für das Gespräch Sebastian Herkner

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