Interspecies Design: Neue Lebensräume für eine nachhaltige Zukunft

Vielfältige Ökosysteme statt trister Betonwüsten: Interspecies Design erschafft Umgebungen, in denen nicht nur Menschen, sondern auch andere Lebewesen ein Zuhause finden

Interspecies Design
Source & Copyright by Blast Studio

Autor: Mona Kühlewind

Inklusion statt Ausgrenzung: Bisher waren Architektur und Design darauf bedacht, Lebensräume zu gestalten, die perfekt auf menschliche Bedürfnisse zugeschnitten sind. Für andere Organismen dienten Stein und Beton als unüberwindbare Barrieren, die sie vor allem aus städtischen Gebieten ausschlossen. Die Folgen sind besonders für Kleinstlebewesen wie Insekten verheerend. Laut einem Bericht der Universität Sydney, der Forschungsergebnisse aus verschiedenen Kontinenten zusammenführt, geht die Population bei 41 Prozent aller Insektenartenarten zurück. Ein Drittel aller Arten ist sogar vom Aussterben bedroht. Die Gesamtbiomasse der Insekten nimmt nach den Schätzungen der Forscher:innen aus Sydney jährlich um 2,5 Prozent ab.

Doch was wäre, wenn wir einen anderen architektonischen Ansatz wählen würden? Interspecies Design könnte eine Lösung sein. Es basiert auf der Erkenntnis, dass wir als Menschen Teil eines komplexen ökologischen Systems sind und dass unser Wohlergehen eng mit dem Wohlergehen anderer Spezies verknüpft ist. So berücksichtigt Interspecies Design nicht nur die Bedürfnisse von Menschen, sondern auch von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Ziel ist es, nachhaltige und integrative Lösungen zu entwickeln, die Vorteile für alle Lebewesen bieten und ein Zusammenleben ermöglichen. Denn der Erhalt der biologischen Vielfalt ist keine Angelegenheit, die nur Naturschützer betrifft. Sie ist zu einer gesellschaftlichen Notwendigkeit geworden, zu der wir alle beitragen müssen. Wenn die Menschheit eine lebenswerte Zukunft haben möchte, ist es notwendig, unsere Lebensräume so anzupassen, dass auch andere Spezies mit einbezogen werden.

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Welche Benefits bietet Interspecies Design?

Interspecies Design verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der nicht nur die Wünsche des Menschen, sondern auch die Bedürfnisse anderer Lebewesen berücksichtigt. Folgende Vorteile ergeben sich durch dieses Non-human-centered-Design:

  • Verbesserung der Biodiversität: Indem Interspecies Design den Anforderungen anderer Lebewesen gerecht wird, trägt es dazu bei, ihre Lebensräume und Ökosysteme zu schützen und zu erhalten. So kann es gelingen, das Artensterben zu reduzieren und die biologische Vielfalt zu erhalten.
  • Verbindung zur Natur: Studien haben gezeigt, dass ein enger Kontakt mit der Natur und anderen Lebewesen positive Auswirkungen auf unsere psychische und physische Gesundheit haben kann. Interspecies Design kann dazu beitragen, diese Verbindung zu stärken und somit ein Umfeld zu schaffen, in dem wir uns als Menschen wohlfühlen und Seite an Seite mit anderen Lebewesen existieren.
  • Resiliente Systeme: Diversifizierte und gesunde Ökosysteme sind widerstandsfähiger gegen die Auswirkungen des Klimawandels. Durch die Einbeziehung verschiedener Arten können Lebensräume geschaffen werden, die besser in der Lage sind, sich an veränderte klimatische Bedingungen anzupassen und extreme Wetterereignisse abzufedern.

Interspecies Design ist somit ein wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen Lebensweise, da es dazu beiträgt, die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Umwelt zu minimieren und die biologische Vielfalt zu schützen.

Welche Beispiele gibt es für Interspecies Design?

Interspecies Design umfasst innovative Ansätze, die das Zusammenleben verschiedener Arten fördern und deren Lebensräume verbessern. Von biotechnologisch hergestellten Materialien bis hin zu integrativen Infrastrukturen in Städten, die folgenden Beispiele zeigen, wie Design dazu beitragen kann, eine nachhaltige Koexistenz zwischen Mensch und Natur zu unterstützen:

1. Pilze als Basis für Architektur

Myzel ist ein innovatives Material, das in einem biotechnologischen Prozess aus Pilzen gewonnen wird. Es bietet den Vorteil, dass es strapazierfähig und leicht formbar ist. Dadurch ist es optimal geeignet für die Verarbeitung mit dem 3D-Drucker. So arbeitet die innovative Londoner Designschmiede Blast Studio mit 3D-Drucktechniken, die die Möglichkeit geben, Artefakte zu schaffen, die sowohl auf der mikroskopischen Skala als auch auf der makroskopischen Skala gestaltbar sind. Die Falten und Zwischenräumen der Designs sind so optimierten, dass sie den Vorlieben von Pilzen entsprechen. Sie bieten Dunkelheit und Feuchtigkeit, so dass die Pilze auf der Oberfläche optimal gedeihen können. Dabei werden die Objekte aber auch gleichzeitig den optischen und praktikablen Ansprüchen von uns Menschen gerecht.

Source & Copyright by Blast Studio

2. Beton für mehr Leben im Meer

Um die Ansiedlung von Meereslebewesen an Küsteninfrastrukturen wie Wellenbrechern, Brückenpfeilern oder Hafenbefestigungen zu fördern, hat die Firma Econcrete eine neue Fertigungsmethode für Betonbauteile entwickelt. Bei der Herstellung wird ein chemisch modifiziertes Zusatzmittel verwendet, das poröse, reliefartige Oberflächenstrukturen erzeugt, an denen sich Austern oder Korallen besser ansiedeln können. Damit bekommen nicht nur die Meeresbewohner ein artgerechtes Habitat, sondern durch ihre Ansiedlung bilden sie zugleich eine Schutzschicht auf dem Beton, die ihn festigt und langlebiger macht.

Source & Copyright by Econcrete

3. Innovatives Glas gegen Vogelschlag

Die französischen Designstudenten Mathieu Andries und Mathis Morin haben ein Konzept entwickelt, das Millionen von Vögeln, die jährlich durch die Kollision mit Gebäudefenstern in Städten sterben, das Leben retten könnte. Das für das menschliche Auge unsichtbare Design könnte eine Lösung für die vielen Glasfenster in urbanen Räumen sein. In die Fenster werden Calcitmineralien eingearbeitet, die die Eigenschaft haben, lichtdurchlässig zu sein, aber durch die Aufnahme von UV-Licht fluoreszieren und so die Vögel vor den Hindernissen warnen.

Source & Copyright by Mathieu Andries & Mathis Morin

4. Ziegelsteine für Bienen

Die britische Firma Green&Blue hat spezielle Bienenziegelsteine entwickelt. Mit den innovativen Blöcken wird einfach ein herkömmlicher Ziegel in der Wand ersetzt. Sie bieten Solitärbienen einen Nistplatz, indem sie absichtlich Nischen und Ritzen schaffen, in denen sich die Insekten ansiedeln können. Die innovativen Ziegelsteine sollen dem Rückgang der Bienenpopulation in Großbritannien entgegenwirken, indem sie neuen Lebensraum schaffen.

Source & Copyright by Green&Blue

5. Grüne Gebäude für das Stadtklima

An der University of Virginia haben Forscher:innen eine Methode entwickelt, um aus einem Gemisch aus Pflanzensamen und Erde per 3D-Druck begrünte Mauern und andere Objekte zu generieren. Bei den Prototypen kommt "Soil Ink", zum Einsatz, eine Mischung aus lokalen Böden, Samen und Wasser. Im Laufe der Zeit beginnen die Pflanzen auszutreiben, so dass die Oberflächen von Grün bedeckt werden. Diese Technologie bietet das Potenzial, in der Stadt Architektur zu begrünen und so das urbane Klima zu verbessern. Laut UVA könnte sie, eingesetzt an Seitenwänden und auf Dächern, auch als natürliche Isolierung der Häuser dienen.

Source & Copyright by E. Baharlou | University of Virginia

Fazit: Interspecies Design sorgt für eine gesunde Balance

Non-human-centered-Design bietet die Chance, unsere Beziehung zur Natur und anderen Lebewesen grundlegend zu verändern. Indem die Bedürfnisse anderer Spezies in Gestaltungsprozessen berücksichtigt werden, lassen sich nachhaltigere und umweltfreundlichere Lösungen finden, die allen zugute kommen. Interspecies Design bietet zahlreiche Vorteile für ein umweltbewusstes Leben, wie den Schutz der biologischen Vielfalt, die Stärkung unserer Verbindung zur Natur und die Resilienz gegen Klimaveränderungen. Es hat das Potenzial, eine transformative Kraft zu sein und die ausgewogene Beziehung zwischen Mensch und Natur wiederherzustellen.

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