Wie führen wir Museen in die Zukunft? Von Sauriern, KI und der Sehnsucht nach Faszination

Im Auftrag für das Nevada Museum of Art konzipiert Graft Brandlab eine Ausstellung, die prähistorische Meeresbewohner nahbar macht

Kolumne von Prof. Nikolaus Hafermaas, Graft Brandlab

Nevada Museum Graft Brandlab
Die geplante Multimedia-Ausstellung DEEP TIME: SEA DRAGONS OF NEVADA vereint Digitales und Analoges, um alle Sinne anzusprechen. ©Graft Brandlab

Autor: Haus von Eden

Unsere Welt ist schnelllebiger denn je. Unsere Faszination für Dinge verpufft so schnell, wie sie entstanden ist. Wie beim Metaverse. Eben noch als der heißeste Trend gepriesen, dann von generativer KI wie ChatGPT abrupt abgelöst. Da stellt sich mir die Frage: Was hat in dieser Zeit überhaupt noch Bestand? Wie schaffen wir es noch, Menschen zu begeistern, ihre Aufmerksamkeit zu wecken und sie nachhaltig zu engagieren? Sind Orte wie Museen, die sich meist mit der Vergangenheit beschäftigen, von ihrem Wesen her überhaupt noch zeitgemäß?

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich im jungen Alter von sieben Jahren auf der Documenta in Kassel war. Das Mouse Museum von Claes Oldenburg und die futuristische Air-Unit der Experimental-Architekten Haus-Rucker-Co faszinierten mich total. Das waren Parallelwelten, in denen eigene Gesetze herrschten und in die ich völlig eintauchen konnte. Ich kam aus meinem kindlichen Staunen nicht mehr heraus. Fiktion, Realität sowie Kunst verschmolzen zu einem ganzheitlichen Erlebnis, das sich mir bis heute tief eingebrannt hat. Seitdem sehne ich mich danach, eine ähnliche Faszination in anderen Menschen zu wecken.

Nevada Museum of Art: Hier werden Dinos zur Kunst

Es gibt eine Spezies auf dieser Welt, die seit Bestehen der Menschheit eine solche Magie und Faszination ausübt: Dinosaurier. Bis heute sind sie ein Mysterium. Ihre Größe, ihr Aussehen, ihr Verhalten - die Naturwissenschaft hat schon viel herausgefunden, und doch können wir nur spekulieren. Ideal, um unsere Vorstellungskraft zu beflügeln.

Nevada Museum of Art DEEP TIME: SEA DRAGONS OF NEVADA

Eine 32 Meter lange 3D-Skulptur aus recyceltem Ocean-bound-Plastik demonstriert die wahre Größe der Ichthyosaurier-Dame Annie und ihrem Ungeborenen ©Graft Brandlab

Diesem Mysterium geht das Nevada Museum of Art in Reno, USA, auf den Grund. Die führende Institution in der kulturellen Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt konzipiert derzeit die neue Ausstellung „DEEP TIME: SEA DRAGONS OF NEVADA“, in der nie zuvor gezeigte Ichthyosaurier-Funde künstlerisch in Szene gesetzt werden. Die 250 Millionen Jahre alten prähistorischen Meeresbewohner, die historisch als "Seedrachen" bezeichnet werden, gelten als die größten Lebewesen, die jemals auf diesem Planeten gelebt haben. Gemeinsam mit meinem Kreativteam von Graft Brandlab habe ich die einzigartige Gelegenheit, dieses Ausstellungskonzept zu gestalten.

Eine Ausstellung der Extreme fordert neue künstlerische Strategien

Doch wie bringen wir ein paläontologisches Thema in einen künstlerischen Kontext? Wie machen wir das Unfassbare sichtbar und erlebbar und sprechen alle Sinne der Besucherinnen und Besucher an? Und wie gestalten wir eine künstlerisch wertvolle und zugleich nachhaltige Ausstellung, die nicht nur thematisch, sondern auch ökologisch wegweisend für unsere Zukunft ist?

"Science is driven by beauty", sagt Dr. Martin Sander, international renommierter Ichthyosaurierforscher und wissenschaftlicher Kurator der Ausstellung, und signalisiert damit seine Offenheit für einen Ausstellungsansatz, der sich deutlich von den bekannten Inszenierungen in Naturkundemuseen abhebt. Ein Carte blanche, aber auch eine außerordentliche kreative Herausforderung.

Meine Kindheitserfahrungen mit der Documenta haben mich gelehrt, dass Faszination dann entsteht, wenn alle Sinne angesprochen werden - und wenn gleichzeitig Spielraum für eigene Interpretationen bleibt. Deshalb haben wir uns für Inszenierungen entschieden, die das Physische ins Digitale erweitern und das Digitale physisch erfahrbar machen.

Eine der Schlüsselinszenierungen wird der über 30 Meter lange "Probability Envelope" der schwangeren Ichthyosaurierdame „Annie“ sein, wie wir sie liebevoll nennen. Diese Raumskulptur wurde aus einer digitalen Punktwolke generiert und zeigt die derzeit angenommene Größe des Meeressauriers. Wer den gigantischen Ausmaßen von Annie in Menschengröße gegenübersteht, erfährt einen gewaltigen Maßstabssprung am eigenen Körper.

Zum anderen nutzen wir Elemente der Augmented Reality, um eine Brücke von 250 Millionen Jahren zurück bis weit in die Zukunft zu schlagen. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz lassen wir mögliche Zukunftsszenarien entstehen, die Raum für Visionen und Diskussionen über Zeit, Zukunft sowie die weitere Entwicklung unserer Welt bieten.

 Die Medienfläche „Zukunftshorizont“ prognostiziert und visualisiert Zukunftsszenarien mithilfe von Künstlicher Intelligenz ©Graft Brandlab

Nachhaltigkeit ist ein Muss für zeitgemäßes Ausstellungsdesign

Ob Museen oder Gestaltende: Wer heute für die Zukunft gestaltet, kommt an der prekären Situation unseres fragilen Heimatplaneten nicht vorbei. In allen Phasen der Ausstellungsgestaltung gilt es, den ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten: Vom Einsatz wiederverwendbarer Materialien über eine ressourcenschonende Produktion bis hin zu einem flexiblen, digitalen Designprozess und Projektmanagement, bei dem z.B. auch Reisetätigkeiten auf ein Minimum reduziert werden.

Digitale Medien sind eine wahre Wunderwaffe im Kampf gegen die ständige Neuproduktion und den dabei entstehenden Abfall, da sie flexibel eingesetzt und wiederverwendet werden können. Auch bei haptischen Kunstinstallationen wie unserer Raumskulptur, der Ichthyosaurierdame Annie, gilt es, ökologisch verantwortungsvoll zu handeln. Die hängende Skulptur, die Annie mit ihrem ungeborenen Baby in einer Kurve schwimmend zeigt, besteht aus ca. 20.000 transparenten Kugeln. Sie wurden aus Ocean-Bound-Plastic hergestellt, einem Kunststoff, der bereits vor dem Eindringen in die Meere gesammelt wird, sei es in Flüssen, an Stränden, auf Straßen und an vielen weiteren Orten. Auf diese Weise trägt Annie dazu bei, ihren eigenen Lebensraum, die Weltmeere, zu schützen.

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren - und ständig kommen neue Fundstücke hinzu, denn die Ausgrabungen gehen weiter. Ein aufregendes Projekt, das im Herbst 2024 eröffnet wird. Wir sind sehr gespannt auf die Reaktionen der Besucherinnen und Besucher - werden sie genauso berührt sein wie ich damals im Mouse Museum?

 

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Autor: Nikolaus Hafermaas

Prof. Nikolaus Hafermaas ist Managing Partner Creation der Innovationsagentur Graft Brandlab. Der ehemalige Dekan des ArtCenter College of Design in Pasadena/CA fokussiert sich auf die kreative Verbindung von Technologie und Menschsein. Gemeinsam mit Rico Zocher leitet er, die 2014 von Graft Architekten gegründete Agentur, mit der Zielsetzung, Marken multidimensional erfahrbar zu machen und agiert dabei an den Schnittstellen von Kunst, Design und Technologie. Die Projekte umfassen die Entwicklung und Umsetzung von Markenstrategien in Form von multimedialem Branding, Kommunikation, Architektur und Mediatektur.

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