Werner Aisslinger, einer der größten Produktdesigner Deutschlands, erzählt uns ganz privat über zukünftige Trends, die Transformation des Designers und was Schönheit und Ästhetik für ihn bedeuten
Produktdesigner Werner Aisslinger, Bildquelle Rolf Benz
Nur zwei Jahre nach seinem Abschluss an der Hochschule für Künste in Berlin, gründetet Werner Aisslinger sein eigenes Studio in der Hauptstadt bereits 1993. Er ist ein experimentierfreudiger Designer, der in seinen Produkten Ästhetik und Nachhaltigkeit vereinen will. Dabei faszinieren ihn innovative Technologien, die er für seine Produkt- und Markendesigns einsetzen kann. Über sein Verständnis von Schönheit, Trends und Nachhaltigkeit spricht er im Interview mit Haus von Eden.
Zukünftige Designtrends zeigen sich nicht mehr nur über den "Look"
Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, ist Design nicht länger auf schiere Form zu beschränken. Weder der stylische Minimalismus des späten 20. Jahrhunderts noch der Einheitslook einer modular-schematischen Innenarchitektur kann heute noch das Ziel anspruchsvollen Produkt- oder Interiordesigns sein. Viel wichtiger werden atmosphärische Aspekte. Als Designer sehe ich mich weniger als Mastermind mit fertigem Gestaltungsplan im Kopf denn als DJ, der verschiedenstes Material zu sampeln versteht; es geht nicht um den „Total Look“, sondern um die überraschende Collage.
Studio Aisslinger folgt dieser Devise in seinen unterschiedlichen Projekten. Durch „storytelling“ werden Gegenstände mehr als nur kühle sachliche Produkte; sie transportieren ihre eigene Geschichte. Wie das Alltagsleben, wie die Welt selbst aus den verschiedensten Elementen collagiert ist, so ersetzt studio aisslinger die homogene monochrome Stilwelt durch eine Mischung aus Vintage, Flohmarkt, Klassikern und archetypischem neuen Design; das Ergebnis ist ein gewachsener Mischmasch, in dem sich unterschiedlichste Details zu einer vibrierend-inspirierenden Atmosphäre verbinden.
Rolf Benz ADDIT entworfen von Werner Aisslinger und Tina Bunyaprasit
Nachhaltigkeit im Einklang mit modernem Design
Die Fragen der Nachhaltigkeit und des ökologischen Designs ist entscheidend. Aus was für einer Produktion stammen die genutzten Materialien? Was ist ihr CO2-footprint und wie ist ihr Verhältnis zu den endlichen Ressourcen unserer Erde? Kommen sie von weither oder sind sie lokal? Erzählen sie in ihrer eigenen Geschichte auch die Geschichte jenes Ortes, den wir neu zu gestalten suchen?
Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein sind nicht länger sekundäre Attribute. Sie werden konstitutiv für ein Design, das sich nicht einfach als Hülle oder ansprechende Verpackung versteht. Design in unserm Sinne ist eher eine Art subtiler Sensibilisierung für die vielfältigen Aspekte der Welt, in der wir leben. Nur wenn wir uns in unserer Wahrnehmung noch überraschen lassen, nur wenn wir überhaupt wieder wahrzunehmen lernen, werden wir in der Lage sein, diesen Planeten zu verstehen und zu bewahren.
BeHive Lampe
Unentdeckte Schönheit und Ästhetik durch Irritation
Schönheit und Ästhetik sind schwierige Worte. Wir haben uns daran gewöhnt, das schön zu finden, was gefällt, und Ästhetik mit dem gleichzusetzen, was uns unmittelbar schön erscheint. Aber so einfach ist es nicht. Wenn nur das schön ist, was gefällt, reduzieren wir Schönheit auf uns Vertrautes. Formen, Farben, Haptik - Fällt etwas aus der Reihe, ist unser Urteil schnell negativ.
Natürlich gibt es Designklassiker und archetypisches Design, das seine Attraktivität auch über Generationen hinweg nicht verliert. Und natürlich ist das Ziel eines Produktdesigners, solch archetypische Möbel und Räume zu schaffen. Dabei entscheidend aber ist, dass solches Design nie einfach nur gefällt, sondern immer auch eine kleine Irritation beinhaltet. Nur durch die Irritation entfaltet das Objekt überhaupt seine besondere Attraktion. Alles andere ist Durchschnitt.
Ästhetik, ein Wort, das auf das griechische ‚Aisthesis‘ zurückgeht, was schlicht ‚Wahrnehmung’ bedeutet, heißt für mich: Öffnung unserer Sinne durch Irritation und Reibung. Wenn etwas nur gefällt, ist es gefällig.
CIRQL collection 2019
Nachhaltigkeit als Chance für die eigene Designphilosophie
Mein persönliches Leben spiegelt sich natürlich auch in meinem Design. Wobei sich gerade im Interiorbereich schon seit einiger Zeit eine Designphilosophie entwickelt hat, zu der das ganze studio beiträgt, die also nicht mehr nur an eine Person gebunden ist. Aber die vibrierende Heterogenität der Collage bestimmt auch mein persönliches Lebensumfeld. Weder mein Büro noch meine Privatwohnung sind ‚durchdesigned‘.
Beide erinnern eher an sich immer weiter entwickelnde Organismen oder an neuzeitliche Wunderkammern, in denen kursiose Objekte mit wissenschaftlichen Exponaten, Fundstücken, Prototypen usw. zusammengestellt sind. Diese Begeisterung für das Sich-Ergebende, das nicht kontrolliert Emergierende ist auch für meine Einstellung zu Fragen der Ökologie und Nachhaltigkeit wichtig. Sie sind weniger Bürde als Chance, andere Perspektiven einzunehmen und die Vielfalt und den Zauber der Welt neu zu entdecken.
Arbeitsprozess Studio Aisslinger
Natur und Technik: Zentrale Herausforderungen der Zukunft
In meiner „Incubator Island“ genannten Installation für eine Ausstellung im Gropius Bau Berlin 2019 habe ich versucht, die Herausforderungen der Zukunft in einer skulpturalen These anzuzeigen. Dabei verbindet sich das einzigartige, durch Bewusstsein und Geschichte geprägte Verhältnis des Menschen zu sich und seiner Umwelt mit seiner Fähigkeit zur Kooperation und kollektiven Intelligenz.
Aus dieser Mischung lässt sich eine Zukunft imaginieren, die weder dunkle Dystopie einer zerstörten Erde noch die Glorifizierung einer technoid-kalten Welt der Androiden und künstlichen Intelligenzen sein muss. Nur braucht es für eine solche humane Zukunft, in der Natur und Technik in friedlicher Koexistenz und vielleicht sogar produktiver Gemeinschaft zusammenkommen die Sensibilisierung von uns allen, schon heute. Nicht zuletzt durch entsprechendes Design.
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