Felix Sühlmann-Faul, Berater des Deutschen Nachhaltigkeitspreises, erklärt wie eine zukunftsträchtige nachhaltige Digitalisierung aussehen kann und was die Risiken sind
Felix Sühlmann-Faul ist Techniksoziologe, Keynote Speaker und Autor mit Spezialisierung auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Zukunft von Umwelt, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik unter Einfluss der Digitalisierung. Wir haben Herrn Sühlmann-Faul getroffen, um über die Nachhaltigkeit der Digitalisierung zu sprechen.
Ist Ihrer Meinung nach die heutige rasante Digitalisierung nachhaltig?
Die Digitalisierung wird häufig als "automatisch nachhaltig" angesehen. Grund dafür ist das Potential durch digitale Prozesse die Dematerialisierung und Effizienz zu steigern. Man denke dabei beispielsweise an die Automatisierung von Prozessen im Rahmen der Industrie 4.0. Jedoch nur, weil etwas digital ist, ist es noch lange nicht nachhaltig im Sinne ökologischer oder sozialer Überlegungen. Dafür müssen digitale Lösungen zu weniger Energieverbrauch und Emissionen führen, als bei der Herstellung dieser digitalen Lösung erzeugt worden sind.
Natürlich müssen beispielsweise durch die Nutzung von Streamingdiensten keine CDs oder DVDs mehr hergestellt und transportiert werden. Dass aber genauso wenig wie der Strom aus der Steckdose kommt, auch die Daten des Streamingdienstes nicht einfach durch die Luft zu uns flattern, wird häufig übersehen. Denn der Datenstrom von Rechenzentren, die zu uns gesendet werden, verbrauchen jährlich mehr Energie und erzeugen mehr Emissionen.
Tatsächlich ist die Digitalisierung eine riesige gesellschaftliche Transformation, dessen Komplexität nicht vernachlässigt werden darf
Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit der Digitalisierung kann aufgrund der Komplexität nicht auf das drei-Säulen-Modell von Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft reduziert werden. Daher habe ich in meinem Buch „Der blinde Fleck der Digitalisierung“ die Politik als vierte Säule im Nachhaltigkeitsbegriff ergänzt. Das hat den Grund, dass a) viele politische Entscheidungen die Nachhaltigkeit der Digitalisierung nicht berücksichtigen und b) dass politische Prozesse einen starken Einfluss darauf haben, wie nachhaltig die digitale Transformation tatsächlich erfolgen wird.
Denn Nachhaltigkeit, so bekannt und populär der Begriff auch ist, wird gerne als wichtig und erstrebenswert betrachtet. Es scheitert aber meist an der Umsetzung.
In der Umweltsoziologie spricht man hier vom "langen Weg vom Kopf zur Hand“. Viele Menschen bejahen den Wunsch nach einer Energiewende, möchten aber keine Windräder in der Nähe ihrer Häuser haben. Viele klatschen auch Beifall für die „Fridays for Future“-Bewegung, trennen sehr genau ihren Müll, fliegen aber zweimal pro Jahr in den Urlaub. Genauso ist es bei vielen Unternehmen, die sich gerne Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben, aber letztendlich minimale Bemühungen diesbezüglich betreiben.
Es ist selbstverständlich richtig, dass die Konsument/innen Unternehmen "steuern" können, sich nachhaltiger zu verhalten. Aber den deutlich größeren Effekt erzielen politische Maßnahmen. Denn diese setzen einen Rahmen, der auch die Menschen und Unternehmen zum nachhaltigen Handeln lenkt, nicht nur zum nachhaltigen Denken.
Wo sehen Sie die größten Risiken der Digitalisierung?
Die Digitalisierung erzeugt einen Boom für Jobs – allerdings fast ausschließlich in Bereichen, die unmittelbar mit dem Thema Digitalisierung direkt zusammen hängen. Wie sich dieser Trend fortsetzt, ist aktuell schwer abzusehen. Verschiedene Beratungsfirmen kommen zu extrem unterschiedlichen Einschätzungen. Der Arbeitsmarkt ist in ständiger Bewegung. Arbeitsfelder fallen weg, neue kommen hinzu. Wie sozial nachhaltig der Einfluss der Digitalisierung ist, hängt ebenfalls maßgeblich von politischer Weitsicht ab.
Das größte Risiko der Digitalisierung ist die ungeregelte Steuerung der digitalen Transformation durch ökonomische Interessen. Diese Form der Digitalisierung ist anteilig gleichzusetzen als aktuelle Inkarnation des Kapitalismus
Die Nutzung von persönlichen Daten wurde entdeckt und ist der aktuelle Motor der Wirtschaft. Die großen Plattformen würden ohne diesen Zusammenhang nicht existieren und auch andere Unternehmen der "Old Economy" wie die Automobilindustrie verstehen es langsam: Gewinne sind durch möglichst gezielte Ansprache von Konsument/innen und maßgeschneiderten Dienstleistungsmodellen abhängig. Hardware wie Autos werden weniger gefragt sein – Services sind für diese Unternehmen die Zukunft.
Digitalisierung und die Nutzung von persönlichen Daten
Die Nutzung von Daten kann große Probleme erzeugen: Dauerhafte Überwachung, Gesichtserkennung, Abhören in den eigenen vier Wänden durch Smarthome-Geräte etc. Viel zu wenig denken Konsument/innen darüber nach, dass die vielen kostenlosen Apps, die vielen vermeintlich smarten Geräte und dergleichen mehr, durchaus ihren Preis haben. Denn sie unterminieren unsere Privatsphäre und Freiheitsrechte.
Viele Leute machen sich überhaupt keine Gedanken dazu, andere stellen sich auf den Standpunkt, dass sie ja nichts zu verbergen hätten. Zu dieser Einstellung hat Edward Snowden mal sehr treffend sinngemäß folgendes gesagt: Sich auf den Standpunkt zu stellen, Datenschutz sei irrelevant, da man ja nichts zu verbergen habe, ist so, wie das Recht der freien Meinungsäußerung abzuschaffen, weil man nichts zu sagen hat.
Auch hier ist die Politik gefragt, aber ganz besonders bedarf es einem deutlich höheren Maß an Medienkompetenz in der Bevölkerung. Wir können es uns heute nicht mehr leisten, digitale Services und Geräte ohne kritischen Hintergedanken und einem Minimum an Wissen zu nutzen – längerfristig könnten unsere Freiheit und besonders die unserer Kinder davon abhängen.
Insgesamt braucht es in einer zunehmend digitalen Welt ein hohes Maß an Wissensvermittlung, um digitale Spaltung zu verhindern.
Welche Rolle spielen Transparenz und Kommunikation bei der Digitalisierung?
Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein. Technologie – das schließt die Digitalisierung mit ein – ist stets ein Werkzeug und kann zum Ziel für eine nachhaltigere Welt durchaus Verwendung finden.
Es gibt eine Hand voll Unternehmen, die Digitalisierung und Nachhaltigkeit in Einklang bringen. Dazu gehören bspw. genossenschaftlich organisierte Hostingfirmen, die nicht auf Gewinn abzielen, sondern auf einen möglichst hohen Grad an Nachhaltigkeit und Datenschutz. Der größte Teil der Unternehmen muss allerdings eher durch den Druck von Konsument/innen und ganz besonders durch politische Maßgaben dorthin genötigt werden, Nachhaltigkeit nicht zu einem Nebenziel und einem Feigenblatt verkommen zu lassen.
Unternehmen, die persönliche Daten von Nutzer/innen nutzen, die digitale Geräte herstellen oder Daten von anderen Firmen erwerben, müssen in besonderem Maße rechenschaftspflichtig sein.
Transparenz muss als Spiel für zwei Personen verstanden werden:
A) Die Nutzer/innen – es ist fahrlässig, sich nicht darüber zu informieren, was mit den persönlichen Daten geschieht, wie man den Standort seines Smartphones verbirgt oder welche Informationen etwa Versicherungen über jemanden einholen, um die Prämie zu errechnen.
B) Unternehmen, die persönliche Daten oder sonstige Informationen über Individuen kaufen, erzeugen, analysieren oder nutzen – diese spielen mit unserer Freiheit. Diese Unternehmen stehen in der Verantwortung in wenigen Worten zu vermitteln, was sie mit den Daten tun und nicht auf 100 Seiten AGBs zu verweisen. Das ist durchaus möglich. Nur so können sich Nutzer/innen und Unternehmen auf Augenhöhe begegnen.
Die Politik kann den Prozess zwischen Bevölkerung und Unternehmen unterstützen
Ein hohes Maß an Verantwortung liegt aber auch bei den Nutzer/innen. Nicht nur, weil wir es sind, die bei den Wahlen unsere Stimmen geben, sondern auch, weil die Digitalisierung kein Trend ist, der irgendwann verschwinden wird. Das Thema wird noch deutlich größer und deutlich wichtiger werden und es geht jeden an. Den Sand in den Kopf zu stecken ist keine Option.
Die Digitalisierung ist so komplex, dass die Bereiche zwischen schwarz und weiß bei Entscheidungen die wichtigen Bereiche sind. Eine Lenkung der Digitalisierung in eine sozial gerechte, ökologische Richtung, kann nur mit offenen Augen und Ohren gelingen. Und mit scharfem Verstand. Nur so können die wahren Chancen der Digitalisierung genutzt werden.
Der blinde Fleck der Digitalisierung, Felix Sühlmann-Faul
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