Willkommen im Babylon der E-Ladestationen – Ist das noch nachhaltig?

Die Infrastruktur neuer Mobilitätskonzepte muss weg vom insularen Denken hin zu ökonomisch effizienten, ökologisch nachhaltigen und sozial fairen Standards

Kolumne von Prof. Nikolaus Hafermaas, Graft Brandlab

Tankstelle 1930er von Anastasia Hafermass
Copyright Anastasia Hafermaas

Autor: Haus von Eden

Beeindruckend, dieses Bild einer Tankstelle aus den 1930ern, auf dem ein Autofahrer gezeigt wird, der sich an einer schier endlos wirkenden Reihe von Zapfsäulen zwischen 12 verschiedenen Benzinmarken entscheiden sollte. Meinem Sohn sei Dank – er hat mir dieses wunderbare Buch „Visuelle Geschichte des Fahrens“ geschenkt, in dem sich dieses zunächst amüsant-absurde und dann doch zum Nachdenken anregende Bild befindet. Vergangenheit, die sich wiederholt.

Wie in den 1930ern mit der Kommerzialisierung des Benziners, befinden wir uns nun mit der Elektromobilität in einer Aufbruchsphase. Wie schon damals konkurrieren heute Autobauer und Energieanbieter beim Ausbau der E-Lade-Infrastruktur. Ein immer wiederkehrender Verdrängungskampf, wenn neue Technologien den Markt erobern. Leider wird dieser immer auf dem Rücken der Kunden*innen und, noch schlimmer, der Umwelt ausgetragen.

Apokalyptisch betrachtet, könnte unsere Verkehrsinfrastruktur in ein paar Jahren wie folgt aussehen: Übersät von unterschiedlichsten Ladestationen, ob öffentlich oder halböffentlich, als Station oder Einzelsäulen und all diese von verschiedenen Anbietern. Und damit verbunden unterschiedliche Lade-Techniken, die wiederum eigene Ladestecker benötigen und verschiedene Ladekarten der Anbieter. Daneben brachliegende Benzin- und Diesel-Tankstellen, die ausgedient haben. Ein verwirrendes Sammelsurium, das nicht nur die Nutzer*innen überfordert, sondern auch absolut nicht nachhaltig ist.

Copyright Graft Brandlab

Die neue Ökologie braucht sozial faire und offene Ökosysteme

Wir sind bei der Gestaltung zukünftiger Mobilitätskonzepten wie Flugtaxis oder auch dem Ausbau der E-Lade-Infrastruktur für verschiedene Akteure und Pioniere aktiv. Ein besonderes Projekt wurde gerade erst mit dem International Architecture Award ausgezeichnet:

Die Ultra-Fast-Charging Station für das Unternehmen E.ON. Das Konzept setzt neue Maßstäbe: smart und modular, mit integrierten nachhaltigen Maßnahmen wie z.B. Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern, die Ladung rein grünen Stroms oder auch die Adaptionsfähigkeit der Station an variable Nutzungsszenarien. Der erste Prototyp in Essen ist bereits an den Start gegangen, weitere Stationen in Deutschland folgen.

Unser Ziel ist es, zusammen mit unseren Kund*innen eine bessere Welt zu gestalten. Wie wir das schaffen: Weg vom insularen Denken und von geschlossenen Ökosystemen – hin zu einer ökonomisch effizienten, ökologisch nachhaltigen und sozial fairen Infrastruktur für neue Mobilitätskonzepte.

Copyright Michael Romstöck

Lade-Infrastruktur wartet auf Great Reset

Das betrifft auch Hardware-Standards, denn mal ehrlich: Wieviele veraltete Ladekabel und Handys liegen bei Ihnen im Schrank? Es ist erschreckend. Laut dem „Global E-Waste Monitor“ wurden im Jahr 2019 ca. 53,6 Millionen Tonnen Elektromüll weggeschmissen. Eine Zahl, die sich besser greifen lässt, nimmt man das plakative Beispiel der ZEIT Autor*innen her. „Nach ihrer Berechnung bräuchte man 350 Schiffe in der Größe des Kreuzfahrtdampfers Queen Mary 2, um all die ausrangierten Monitore, weggeworfenen Handys und entsorgten Kühlschränke aufzuwiegen.“ Und um es mal rein auf unser Land zu beziehen, soll jeder Deutsche ca. 14 kg Elektromüll im Jahr 2017 produziert haben.

Wenn wir Warennachhaltigkeit schaffen wollen, dann geht dies nur, wenn wir die Menge reduzieren. Der Kosmos an schnell veralteten Steckermodulen, die Konstruktion von Geräten mit kurzem Lebenszyklus, um einen regelmäßigen Neukauf zu provozieren, das Duplizieren von Produkten ohne Neuigkeitswert, was letztendlich nur zu einem unnötigen Mehr an zukünftigem Müll führt – all dies ist nicht mehr zeitgemäß. Viele sprechen vom Great Reset, dem großen Umdenken in unserer Gesellschaft – doch beim Aufbau der Lade-Infrastruktur hat dieses Umdenken noch nicht voll gegriffen.

Doch es gibt bereits Lichtblicke am Horizont. Gerade erst legte die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf vor, der ab 2024 für alle Smartphones den USB-C-Anschluss vorschreiben soll. Und auch Tesla reagiert. Am 21. Juli 2021 verkündete Elon Musk die weltweite Öffnung des schnellen Ladenetzes für andere Elektroautos. Das sind gute Vorzeichen für den notwendigen Wandel. Ich bin mir sicher, wir werden es schaffen - mit mehr Wir, mehr Vernetzung und mehr Technologie, die Mensch, Natur und Umwelt im Blick hält.

 

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Autor: Nikolaus Hafermaas

Prof. Nikolaus Hafermaas ist Managing Partner Creation der Innovationsagentur Graft Brandlab. Der ehemalige Dekan des ArtCenter College of Design in Pasadena/CA fokussiert sich auf die kreative Verbindung von Technologie und Menschsein. Gemeinsam mit Rico Zocher leitet er, die 2014 von Graft Architekten gegründete Agentur, mit der Zielsetzung, Marken multidimensional erfahrbar zu machen und agiert dabei an den Schnittstellen von Kunst, Design und Technologie. Die Projekte umfassen die Entwicklung und Umsetzung von Markenstrategien in Form von multimedialem Branding, Kommunikation, Architektur und Mediatektur.

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