Mylo Produktionsstopp: Ist Skalierbarkeit von Innovation die Achillesferse der Modeindustrie?

Bolt Threads pausiert die Produktion der führenden Lederalternative Mylo - Was das für die Skalierbarkeit von Innovation in der Mode bedeutet

Bolt Threads
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Autor: Haus von Eden

  • Bolt Threads pausiert Produktion von Mylo aufgrund mangelnder Mittel für die Skalierung
  • Kosten, Unsicherheit und starre Strukturen der Mode verhindern Skalierung innovativer Lösungen
  • Zusammenarbeit, Investition und Regulierung als Lösungsansätze

Die Modeindustrie steht unter steigendem Druck, ihren drastischen Umweltauswirkungen entgegenzuwirken. Diese Dynamik wird von wachsenden Anforderungen auf Seiten der Stakeholder:innen, darunter Verbraucher:innen und Investor:innen, sowie Regulierungsbehörden beschleunigt. Ein Blick auf die kontinuierliche mediale Präsenz neuer nachhaltiger Technologien und innovativer Materiallösungen erzeugt den Eindruck, dass die Branche diesen Schritt für Schritt näher kommt. Nachhaltige Innovation wird offiziell als eines der wichtigsten Tools anerkannt, um die Klimakrise zu entschärfen. Lederalternativen auf Algen-, Obst- oder Gemüsebasis als Lösung, um die Mode in eine nachhaltige Richtung zu lenken. Allein 2022 wurden über 450 Millionen US Dollar in Materialien der nächsten Generation investiert.

Doch während immer mehr Trailblazer umweltverträgliche Alternativen lancieren, stellt ein aktuelles Ereignis eine Zäsur in der Erfolgsgeschichte des Kosmos dar. Bolt Threads hat bekannt gegeben, dass es die Produktion seines Pilzleders - Mylo - aufgrund von Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Finanzmitteln für die Skalierung pausiert. Und das, obwohl es als Start-up für Materialinnovation Pionierstaus erreicht hat, von namhaften Unternehmen wie Stella McCartney und Kering unterstützt wird, sowie Investitionen von über 300 Millionen US-Dollar erhalten hat.

Die Frage, wieso Bolt Threads trotz hochkarätiger Unterstützung und außergewöhnlichem Investitionsvolumen daran scheitert, nötige Finanzmittel für die Ausweitung der Geschäftstätigkeit aufzubringen, offenbart den dringenden Bedarf an skalierbaren Lösungen. Lösungen, die notwendig sind, um den benötigen Wandel zu verwirklichen.

Rentabilität & Skalierbarkeit: Herausforderungen nachhaltiger Innovation in der Mode

Laut Dan Widmaier, der Bolt Threads 2009 gegründet hat, handelt es sich bei der Skalierung eines neuartigen Produktes wie Mylo um die schwierigste und teuerste Phase im Lebenszyklus eines Start-ups (via Vogue Business). In diesem Zeitraum geht es darum, technische Herausforderungen zu meistern, regulatorische Anforderungen zu erfüllen und sicherzustellen, dass das Produkt marktfähig ist.

Trotz des steigenden globalen Interesses an Nachhaltigkeit und tierversuchsfreien Produkten habe sich die Finanzierung in dieser entscheidenden Phase als schwierig erwiesen. Das liegt unter anderem daran, dass der gesamte Sektor für alternative Materialien in den letzten 18 Monaten mit Problemen bei der Mittelbeschaffung konfrontiert war. Während nachhaltige Materialien eine entscheidende Rolle bei der Eindämmung des Klimawandels spielen, werden ihre langfristige Rentabilität und Skalierbarkeit oft skeptisch beurteilt. Die Konsequenz: Viele Investitionen werden auf Bereiche verlagert, die als lukrativer oder weniger riskant eingestuft werden, zum Beispiel KI.

Widmaier betont, dass auch innovative Start-ups mit zukunftsfähigen Ideen nicht immun gegen den makroökonomischen Druck, mit dem die gesamte Wirtschaft konfrontiert ist, sind. Inflation und schwindende Finanzierungsmöglichkeiten lassen selbst Vordenker:innen stagnieren. Nachdem Bolt Threads in diesem Jahr bereits zwei Entlassungsrunden hinter sich hat, pausiert das Start-up jetzt. Es gilt, zu bewerten, was in Zukunft funktionieren kann.

Reproduktion überwiegt Disruption: Wieso Unternehmen an der Vorherrschaft etablierter Strukturen festhalten

Neben wirtschaftlicher Belastung deutet die Nachricht allerdings auf ein umfassendes Portfolio an Herausforderungen hin, die den Status quo der Modeindustrie gleichermaßen definieren, wie in Frage stellen. Trotz nachhaltiger Bekenntnisse ist ein Großteil des Sektors noch immer tief in traditionellen Lieferketten verankert und reproduziert fragwürdige Fertigungsmodelle. Mutige Vordenker:innen stoßen deshalb oft auf den Widerstand etablierter Akteur:innen. Disruptive Veränderungen gelten als Gefährdung ihrer Spielregeln und somit auch ihrer Vorherrschaft.

Zum Beispiel wurde die Chromgebung - ein schnelles sowie billiges Verfahren zur skalierbaren Herstellung von Leder - bereits vor über einem Jahrhundert erfunden. Und da Milliarden von Dollar in die Optimierung des Verfahrens und ihrer Kostensenkung investiert wurden, stellt sich die Frage: Wieso etwas verändern? Gleiches gilt für Polyester. Seine Lieferkette wurde bereits vor mehr als 70 Jahren etabliert sowie auf niedrige Kosten ausgerichtet. Parallel dazu wurde seine Beschaffenheit durch Forschung und Entwicklung perfektioniert.

Deshalb zeichnen sich die meisten Branchengigant:innen durch eine mangelnde Bereitschaft aus, die Dominanz etablierter Materialien wie Leder oder Polyester zu beenden. Trotz (Lippen-)Bekenntnissen zur Nachhaltigkeit überwiegt ihr Widerstand, die Kosten und Ungewissheit, die mit neuen Technologien verbunden sind, einzugehen. Ein Grund dafür ist die Komplexität der Finanzierung. Bei der Erfindung von Materialien bleiben die Grenzkosten zunächst gleich. Erst durch die Skalierung beginnen sie zu sinken. Bedeutet: Die Planung einer Finanzierung ist nicht nur langfristig, sondern auch risikoreich. Erschwerend kommen der Prozess des Ersetztes etablierter Abläufe und umfangreiche Genehmigungsverfahren hinzu.

Verbraucherorientierung: Potenzieller Motor disruptiver Lösungen

Ein weiteres Hindernis für die Skalierbarkeit innovativer Biomaterialien: Die Kaufbereitschaft der Verbraucher:innen. Während viele Studien, darunter von Bain & Company, belegen, dass Verbraucher:innen gewillt sind, mehr für nachhaltige Produkte auszugeben, gibt es keine zwingenden empirischen Befunde dafür, dass sie tatsächlich mehr in Mode aus Materialien wie Mylo investieren. Folglich bedarf es an mehr Forschung, um Gewinnspannen verlässlich zu kalkulieren. Und Unternehmen faktisch zu Nachhaltigkeit zu motivieren. Zudem bedarf es an Aufklärung. Zu viele Verbraucher:innen betrachten Nachhaltigkeit und Innovation zu differenziert voneinander. Es gilt, zu zeigen, wie vielversprechend die Synergie ist und Innovation öffentlichkeitswirksam als Motor von Nachhaltigkeit zu positionieren.

Im Big Picture unterstreicht dieser Stand die Relevanz dessen, die Bedürfnisse von Verbraucher:innen zu verstehen. Und Produkte zu entwickeln, die einen greifbaren Mehrwert für ihr Leben haben, sowie ihrem Wertesystem entsprechen. Die Industrie sollte dies als Anreiz ansehen, Innovation verbraucherorientiert zu erfinden und zu testen, um sie dann zu skalieren.

Lösungsansätze für die Skalierbarkeit nachhaltiger Innovation

Die Good News: Durch das Bewusstsein für ein Problem lässt sich auch seine Lösung finden. Angesichts der wirtschaftlichen Motivation großer Branchenakteur:innen ist es wichtig, Kollaboration zwischen Start-ups, etablierten Player:innen und Technologieanbieter:innen zu fördern. Es gilt, strategische Pläne zu erstellen, die auf langfristige Gewinne statt auf schnelle Erträge ausgerichtet sind. Nicht monetäre Faktoren wie Image, Resilienz oder Attraktivität im Wettbewerb können dabei eine wichtige Rolle spielen, um Investitionen zu sichern. Letztlich ist die Skalierbarkeit eines Produkts zwingend von finanziellen Mitteln abhängig, weshalb Investor:innen ihren langfristigen Nutzen verstehen müssen.

Angesichts verzweigter Lieferketten und traditioneller Produktionsmodelle sind auch Investitionen zur Beschleunigung der gezielten Umstellung der Netzwerke sinnvoll. Mittel zur Dekarbonisierung oder Einführung sauberer Energien können maßgeblich dazu beitragen, veraltete Prozesse obsolet zu machen. Und somit die Bereitschaft für neue Materialen zu erhöhen. Parallel dazu ist es empfehlenswert, bestehende Infrastrukturen und Liefernetzwerke zu nutzen, um neuartige Ideen auf den Markt zu bringen.

Letztlich bedarf die Skalierung innovativer Materialien wie Mylo ein rechtliches Umfeld. Eines, das nachhaltige Praktiken fördert - wenn nicht sogar belohnt, Umweltsünden sanktioniert und die Einführung disruptiver Technologien erleichtert. Vorschriften müssen Unternehmen dazu bewegen, Verantwortung zu übernehmen und sowohl die Natur als auch Arbeiter:innen angemessen zu entschädigen.

Bolt Threads: Wake-up-Call für die Modebranche

Die Situation von Bolt Threads zeigt, dass die Skalierbarkeit nachhaltiger Innovation die umfassende Nachhaltigkeitsbewegung der Mode auf die Probe stellt. Sie sollte ein Wake-up-Call für die gesamte Industrie sein, mehr zu investieren und langfristige Gewinne statt kurzfristigen Profit zu priorisieren. Nur so lassen sich die Auswirkungen des Klimawandels konterkarieren.

Investor:innen und etablierte Branchengigant:innen sollten sich in der dringenden Pflicht sehen, Unternehmen wie Bolt Threads zu unterstützen, um die grüne Revolution der Branche nicht in ihren Anfängen stagnieren zu lassen. Das Potenzial solcher Early Adopters kann nur durch finanzielle Mittel, übergreifende Zusammenarbeit und einen zukunftsorientierten rechtlichen Rahmen ausgeschöpft werden. Sobald diese gegeben sind, ist ihre Skalierbarkeit der nächste entscheidende Schritt in eine positive Richtung.

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