Wie Diversity Management das gesamte Mitarbeiterpotenzial mobilisiert

Im Interview spricht Organisationsberaterin Astrid G. Weinwurm-Wilhelm über Diversity Management und seinen Mehrwert für Unternehmen

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Autor: Julia

Dass Diversity einen positiven Einfluss auf den Erfolg, die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität von Organisationen hat, ist mittlerweile bewiesen. Wie genau sich diese Erkenntnis umsetzen lässt, stellt viele allerdings noch vor Herausforderungen. Genau aus diesem Grund konsultieren immer mehr Unternehmen externe Expert:innen und Beratungen, um zu lernen, wie sie Diversity in ihren Strukturen verankern können, um zukunftsfähig zu sein und die Potenziale der Mitarbeiter:innen bestmöglich zu mobilisieren.

Astrid G. Weinwurm-Wilhelm, Organisationsberaterin und systemische Coach, ist eine dieser Expert:innen. Im Rahmen ihrer Trainings zu Führungskräfte- und Teamentwicklung legt die Gründerin der Beratung Blickweisen ihren Fokus auf Diversity. Ihr innovativer Ansatz: Game-based Learning, um mit starren sowie oft unbewussten Strukturen zu brechen. Neben dieser Tätigkeit engagiert Astrid G. Weinwurm-Wilhelm sich als Präsidentin der Queer Business Women und von Pride Biz Austria, Vereine zur Förderung der Inklusion und Sichtbarkeit von sexueller Diversität im Arbeitsleben sowie in der Wirtschaft.

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Source & Copyright by Cynthia Fischer | Astrid G. Weinwurm-Wilhelm

Im Interview verrät sie, welche Rolle Diversity heute für das Management spielt, wie Unternehmen ihre Potenziale in Zukunft holistisch ausschöpfen können und welche Parallelen es zum Umgang mit Nachhaltigkeit gibt.

Was bedeutet Diversity für Sie?

Diversity bedeutet Vielfalt. Und die ist gegenwärtig – in der Gesellschaft und in jeder Organisation. Diversity Management bedeutet diese Vielfalt anzuerkennen und wertzuschätzen sowie Menschen mit ihren Erfahrungen und Perspektiven so einzusetzen, dass ihre Potenziale für gute Zusammenarbeit und den bestmöglichen Output genutzt werden.

Wieso gewinnt Diversity für Unternehmen und Marken an Bedeutung?

Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Unsere vernetzte Welt, Social Media und der schnelle Zugang zu verschiedensten Informationen erhöhen den Wert einer konkreten sowie klaren Positionierung im Wettbewerb. Unternehmen werden neue Zielgruppen und Märkte nur mit der richtigen Ansprache erschließen können: Mit der richtigen Sprache und Bildsprache, die in adäquaten Kanälen eingesetzt werden, um Produkte oder Dienstleistungen zu bewerben. Glaubwürdigkeit ist dabei oberstes Gebot. Die Vernetztheit kann nämlich schnell dazu führen, dass Unternehmen wegen unpassender Botschaften und Verhaltensweisen mit einem Shitstorm konfrontiert werden.

Sehen Organisationen Vielfalt als Wert an, so können unterschiedliche Perspektiven in die Unternehmens- oder Produktkommunikation einfließen, sodass derartige Situationen vermieden werden.

Lassen sich Diversity Management und Personalmanagement heutzutage voneinander trennen?

Nein. Und noch konkreter: Die Unternehmensführung muss Diversity heute in allen Bereichen mitdenken. Denken wir an die Mindsets der Gen Z oder Millennials. Sie haben andere Erwartungen als frühere Generationen – und kommunizieren diese anders. Offensiver. Bedeutet: Jüngere Generationen setzen Diversitätsorientierung und die Möglichkeit, die Strukturen der Organisation proaktiv mitzugestalten, voraus.

Wir müssen als Arbeitgeber:innen flexibler in dem werden, was wir anbieten. Nur so können wir uns als attraktiv im War for Talent positionieren. Und das ist aktuell wichtiger denn je: Der lang prognostizierte Fachkräftemangel ist mit voller Wucht bei uns angekommen.

Welche Maßnahmen, Ziele und Praktiken forciert Diversity Management?

Diversity Management ist ein komplexes Feld. Ob Ethnie, Generationenmanagement, Inklusion von Menschen mit Behinderungen, sexuelle Orientierung, Geschlechtervielfalt & Gender oder Religion & Weltanschauung – Diversität hat viele Dimensionen, die durch Diversity Management adressiert werden können. Und sollten.

Dafür müssen Unternehmen mit einem klaren Commitment auf Seiten des Managements beginnen. Von hier aus kann Diversity Management Maßnahmen in den verschiedenen Kerndimensionen verankern – konkret aber auch allumfassend sowie ineinandergreifend. Je nachdem, wo am meisten Handlungsbedarf besteht, starten Unternehmen Maßnahmen in einzelnen oder mehreren Dimensionen parallel. Dabei soll jede Maßnahme in jeder Dimension dazu beitragen, eine Arbeitsatmosphäre der Wertschätzung zu entwickeln. Und Menschen dazu inspirieren, ihr Potenzial für gemeinsame Ziele einzubringen.

Das reicht von den gleichen Chancen für alle über die Möglichkeit als LGBTIQ+ Person sichtbar sowie out zu sein bis hin zu inklusiver Sprache in Wort und Bild. Außerdem: Aktives Engagement, um Menschen mit unterschiedlichen physischen sowie psychischen Fähigkeiten bestmöglich einzusetzen.

Ist Diversity eine Erfolgsbedingung für Leadership?

Können wir Führung überhaupt Leadership nennen, wenn Diversity ignoriert wird? Ich glaube, das geht nicht mehr. Wenn Führungspersonen ausschließlich nach dem Prinzip „mini-me“ rekrutieren, dann fehlen die unterschiedlichen Perspektiven und Haltungen, die es in unserer Gesellschaft gibt.

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Natürlich ist Führung viel einfacher, wenn alle ähnlich ticken: Keine Diskussionen, keine Reibungen, keine Meinungsverschiedenheiten. Ob dabei das beste Ergebnis erzielt wird und die Zielgruppen am Markt angesprochen werden, bezweifle ich allerdings.

Was ist die größte Herausforderung für Unternehmen, die Diversity umsetzen wollen?

Meiner Erfahrung nach der Start. Unternehmen müssen sich fragen, welche Probleme sie haben, wo sie ansetzen können und wie sie mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen umgehen können. Ich empfehle meinen Kund:innen deshalb eines: Einfach anfangen – natürlich nicht ganz unvorbereitet. Aber jeder (gut durchdachte) erste Schritt ist ein Anfang. Und den Umsetzungsprozess von alpha bis omega am Papier zu skizzieren funktioniert sowieso nicht.

Sobald einige Initiativen am Laufen sind, braucht es dann oft noch einen Konsolidierungsmoment. Das ist die zweite große Challenge: Viele kleine Impulse oder Maßnahmen festigen, damit sie strategisch eingebettet werden und so ihre Wirkung entfalten können.

Sehen Sie gewisse Parallelen zwischen dem Umgang mit Nachhaltigkeit und Diversity?

Ja. Beide Themen sind sehr komplex und können nicht „nebenbei“ erledigt werden. In den letzten 10 Jahren hat sich hier viel getan: Die Diversity-Verantwortlichen, die bisher nur als Anhängsel der CSR oder HR in Organisationsplänen angesiedelt wurden, werden endlich in ihrer notwendigen Relevanz anerkannt. Meiner Beobachtung nach fehlt allerdings noch die personelle und budgetäre Ausstattung für diese Verantwortlichkeiten. Nur mit diesen könnte sich die Wichtigkeit der Bereiche auch in ihrer Möglichkeit der Umsetzung der aktuell anstehenden Aufgaben widerspiegeln.

Was ist Woke- beziehungsweise Pinkwashing?

Wokewashing und Pinkwashing beziehen sich jeweils auf „Schönfärberei“ – erstens auf die Behauptung sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen; zweitens auf ein vermeintliches Engagement für die LGBTIQ+ Community. Also die Community von Personen, die lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, inter oder queer sind.

Wie bereits erwähnt, spielt uns hier – meiner Meinung nach – unsere vernetzte Welt in die Hände. Menschen erkennen diskriminierendes Verhalten, Schönfärberei oder anbiedernde Kampagnen. Und thematisieren diese auf allen verfügbaren sozialen Medien. Imageschäden dieser Art sind schwer wieder loszuwerden: Das Internet vergisst nicht. Wenn populistische Sprüche oder Botschaften verwendet werden, um sich bei einer spezifischen Gruppe zu positionieren, so wird einer anderen Gruppe gleichzeitig vor Augen geführt, woran sie ist. Das erleben wir allerdings meist in der politischen Kommunikation, weniger in der Privatwirtschaft.

Wie wird sich das Thema Diversity beziehungsweise Diversity Management in Zukunft weiterentwickeln?

Meine Hoffnung: Bald werden wir uns gar nicht mehr mit dem Thema beschäftigen müssen. Und zwar weil es selbstverständlich sein wird, dass Management nur mit Diversity Management funktioniert. Immerhin tragen wir alle Diversitätsdimensionen in uns:

- Gender
- Ethnische Zugehörigkeit (auch, wenn es die der Mehrheitsgesellschaft ist)
- Alter (jedes Alter ist von gewissen Diskriminierungstendenzen betroffen)
- Psychische sowie physische Fähigkeiten
- Sexuelle Orientierung (auch, wenn wir heterosexuell oder asexuell sind)
- Rituale und Traditionen (auch, wenn sie nicht zwingend einen religiösen Hintergrund haben)

Nur, wenn Unternehmen intersektional an diese Dimensionen herangehen und Menschen holistisch betrachten, gelingt Management zur heutigen Zeit.

Liegt Ihnen noch etwas Relevantes am Herzen?

Ich engagiere mich seit mehr als 10 Jahren ehrenamtlich für LGBTIQ+ Diversity in Wirtschaft und Arbeitsleben, bei Pride Biz Austria sowie bei Queer Business Women. Und auch in meiner Beratungspraxis sehe ich, dass die sexuelle Orientierung noch immer als Privatsache missverstanden wird. Ganz davon zu schweigen, dass weitgehend unbekannt ist, dass es mehr als die beiden Pole weiblich und männlich gibt.

Um dies zu ändern, wähle ich gerne einen spielerischen Ansatz. Eines meiner liebsten Gedankenexperimente: „Stellen Sie sich vor, dass Sie hetero sind und niemand davon wissen darf. Was erzählen Sie am Montagmorgen in der Kaffeeküche? Mit wem haben Sie den Urlaub verbracht?. Dabei wird ganz schnell klar, dass es nicht um sexuelle Handlungen geht – die sind nämlich tatsächlich Privatsache. Es geht um die sexuelle Orientierung als Teil unserer Persönlichkeit, die nicht einfach bei der Firmentür abgegeben werden kann.

Mir ist es wichtig, dass Menschen das verstehen. Dass sie sehen wie wichtig es ist, sich mit der gesamten Persönlichkeit im Job einzubringen, um ihr Potenzial auszuschöpfen. Der Sense of Belonging – das Gefühl der Zugehörigkeit – ist wichtiger denn je, weil wir nur dann gute Leistungen erbringen können. Und das ist sowohl für Mitarbeiter:innen als auch für Unternehmen von großer Relevanz.

Vielen lieben Dank, Frau Weinwurm-Wilhelm

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