Sustainable Style am Scheideweg: 2024 mussten viele Slow-Fashion-Brands aufgegeben. Aber warum scheiterten diese Changemakers? Wir beleuchten die Hintergründe der aktuellen Slow Fashion Rezession
Autor: Haus von Eden
In kaum einer Branche ist der grüne Wandel so wichtig und dringlich wie in der Modeindustrie. Immerhin ist sie laut Schätzungen des UN-Umweltprogramms (UNEP) für 10 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist – das ist mehr als die internationale Luftfahrt und Seefahrt zusammen. Doch der nötige Wandel hat in 2024 einen Dämpfer bekommen. Während das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und ethische Produktion scheinbar zugenommen hat, sehen sich Brands, die diese Werte in den Mittelpunkt ihres Geschäftsmodells stellen, mit wachsenden Herausforderungen konfrontiert.
Mehrere bekannte nachhaltige Modelabels mussten in 2024 ihr Geschäft aufgeben. Dadurch ist eine Diskussion über die Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen entfacht, die Nachhaltigkeit und faire Produktion an die erste Stelle setzen. Viele Branchenexpert:innen sprechen bereits von einer "Slow Fashion Rezession". Doch was steckt hinter dieser Entwicklung? Welche Faktoren haben dazu geführt, dass selbst etablierte und beliebte nachhaltige Marken in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind? Und was bedeutet das für die Zukunft der nachhaltigen Mode? Im Folgenden gehen wir diesen Fragen auf den Grund und analysieren die komplexen Herausforderungen, mit denen sich die Branche konfrontiert sieht.
Das Sterben nachhaltiger Marken
Einige Vorreiter der sustainable Fashion haben in den letzten Monaten ihre Geschäftsaufgabe verkündet und damit die Branche aufgerüttelt. Besonders viel Aufsehen erregte die Ankündigung von Mara Hoffman im Mai 2024, ihr gleichnamiges Label nach 24 Jahren zu schließen. Die New Yorker Designerin hatte sich seit 2015 komplett der nachhaltigen Produktion verschrieben und galt damit als Vorbild für viele aufstrebende Labels. In einem emotionalen Statement auf ihrer Website erklärte Hoffman, dass es trotz aller Bemühungen immer schwieriger geworden sei, die Vision einer nachhaltigen Mode in einer Industrie umzusetzen, deren Strukturen nicht darauf ausgelegt sind, den Planeten und seine Bewohner zu priorisieren. „Es ist kein Geheimnis, dass ihr „Erfolg“ immer noch mit Schaden, unkontrolliertem Wachstum und Ausbeutung in vielen Bereichen verbunden ist“, so die Designerin.
Auf Mara Hoffman folgten weitere bekannte, sustainable Brands wie ARQ, Elena Bridgers, Kit X oder Sotela, die in den vergangenen Monaten ihr Geschäft aufgeben mussten. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber was sie alle eint, ist die Schwierigkeit, ein profitables Geschäftsmodell aufzubauen, das gleichzeitig höchste ethische und ökologische Standards erfüllt.
Die Herausforderungen für sustainable Brands
Um die aktuelle Krise zu verstehen, müssen wir uns die spezifischen Herausforderungen ansehen, mit denen nachhaltige Modemarken konfrontiert sind:
- Steigende Kosten bei gleichbleibendem Preisdruck
Ein Kernproblem ist die Diskrepanz zwischen steigenden Produktionskosten und dem anhaltenden Preisdruck im Einzelhandel. Nachhaltige Marken setzen auf hochwertige, umweltfreundliche Materialien und faire Arbeitsbedingungen. Dies treibt die Kosten in die Höhe, während Verbraucher:innen weiterhin günstige Preise erwarten, die sie von Fast Fashion gewohnt sind. Die Inflation der letzten Jahre hat diese Situation noch verschärft. Während die Kosten für Rohstoffe, Energie und Arbeit stiegen, konnten viele Marken ihre Preise nicht im gleichen Maße anheben, ohne Kund:innen zu verlieren. Dies führte zu einer Kompression der Gewinnmargen, die für viele nicht mehr tragbar war. - Schwierigkeiten bei der Skalierung
Nachhaltige Produktionsmethoden sind oft arbeitsintensiver und weniger leicht zu skalieren als konventionelle Massenfertigung. Dies erschwert es den Marken, zu wachsen und Mengenrabatte bei Materialeinkauf und Produzenten zu bekommen, um ihre Kosten zu senken. Viele Labels bleiben daher in einer Nische gefangen, in der sie zwar eine treue Fangemeinde haben, aber keine kritische Masse erreichen, um wirklich profitabel zu werden.
- Komplexe Lieferketten und begrenzte Ressourcen
Die Beschaffung nachhaltiger Materialien und die Zusammenarbeit mit ethischen Produzenten erfordern oft komplexe, globale Lieferketten. Für kleine und mittlere Unternehmen ist es eine enorme Herausforderung, diese zu managen und gleichzeitig die Transparenz zu gewährleisten, die ihre Kund:innen erwarten. Zudem sind viele nachhaltige Ressourcen nur begrenzt verfügbar, da ökologisch produzierte Materialien bisher nur schwer skalierbar sind.
- Wettbewerbsverzerrung durch Greenwashing
Während echte nachhaltige Marken mit höheren Kosten kämpfen, setzen viele konventionelle Modehäuser auf oberflächliches "Greenwashing". Sie suggerieren Nachhaltigkeit durch Marketing, ohne wirklich grundlegende Änderungen vorzunehmen. Dies verwirrt Verbraucher:innen und macht es für authentische nachhaltige Marken schwieriger, sich abzugrenzen und ihren Mehrwert zu kommunizieren.
- Kurzlebige Trends vs. Langlebigkeit
Die sozialen Medien haben zu einer Beschleunigung von Modetrends geführt. Viele Konsumenten wollen ständig neue Styles, was im Widerspruch zum Prinzip der Langlebigkeit steht, das viele nachhaltige Marken verfolgen. Die Herausforderung besteht darin, zeitlose Designs zu schaffen, die dennoch als modern und relevant wahrgenommen werden.
Strukturelle Probleme in der Modeindustrie
Die Schwierigkeiten nachhaltiger Marken und die Slow Fashion Rezession sind auch ein Symptom tieferliegender struktureller Probleme in der Modeindustrie:
- Dominanz des Fast-Fashion-Modells
Das auf schnellen Konsum und niedrige Preise ausgerichtete Fast-Fashion-Modell dominiert weiterhin den Markt. Es hat die Erwartungen der Verbraucher:innen geprägt und setzt den Maßstab für Preise und Verfügbarkeit, an dem sich auch nachhaltige Marken messen lassen müssen. - Fehlende Regulierung und Standards
Es gibt bisher keine einheitlichen, verbindlichen Standards für nachhaltige Mode. Dies erschwert es Konsument:innen, wirklich nachhaltige Produkte zu erkennen, und schafft Raum für Greenwashing. Gleichzeitig fehlen Anreize für Unternehmen, in nachhaltige Praktiken zu investieren. - Kurzfristiges Denken in der Finanzwelt
Viele Investoren und Finanzinstitutionen orientieren sich an kurzfristigen Gewinnen. Dies steht im Widerspruch zu den langfristigen Investitionen, die für den Aufbau wirklich nachhaltiger Geschäftsmodelle notwendig sind.
Wie könnte man die Slow Fashion Rezession stoppen?
Trotz der aktuellen Herausforderungen gibt es Hoffnung für die Zukunft der nachhaltigen Mode. Hier haben wir einige mögliche Lösungsansätze zusammengetragen:
- Neuausrichtung der Geschäftsmodelle
Nachhaltige Marken müssen innovative Wege finden, um profitabel zu sein, ohne ihre Werte zu kompromittieren. Dies könnte bedeuten, sich zum Beispiel noch stärker auf den Luxury-Markt zu fokussieren und ggf. für weniger finanzstarke Kunden Mietmodelle anzubieten. Auch eine verstärkte Integration von Kreislaufwirtschaftsprinzipien, wie z.B. die Nutzung von Secondhand-Stoffen könnte die Produktionskosten senken. - Kollaborationen und Partnerschaften
Durch eine verstärkte Zusammenarbeit untereinander könnten nachhaltige Marken Ressourcen bündeln und ihre Reichweite vergrößern. Zu den Möglichkeiten gehören zum Beispiel Einkaufsgemeinschaften für nachhaltige Materialien, um von Mengenrabatten zu profitieren, oder auch die gemeinsame Nutzung von Produktionskapazitäten.
- Schaffen von Awareness
Eine zentrale Aufgabe bleibt es, Verbraucher:innen für die Bedeutung nachhaltiger Mode zu sensibilisieren und den Wert ethisch produzierter Kleidung zu vermitteln. Daher ist es für nachhaltige Labels besonders wichtig, transparent über Produktionsprozesse und Kosten zu kommunizieren. Auch die Zusammenarbeit mit Influencer:innen und Medien kann helfen, die Botschaft zu verbreiten. - Politische Rahmenbedingungen und Regulierung
Um wirklich nachhaltige Praktiken in der Modeindustrie zu fördern, sind auch politische Maßnahmen notwendig. Dazu gehört unter anderem die Einführung verbindlicher Standards für nachhaltige und ethische Produktion. Auch steuerliche Anreize für nachhaltige Unternehmen wären eine Möglichkeit, die der Gesetzgeber nutzen könnte, um nachhaltige Mode zu unterstützen und die Slow Fashion Rezession zu stoppen. Zudem sind dringend strengere Regulierung von Greenwashing und ein Verbot von irreführender Werbung notwendig. - Technologische Innovationen
Technologie könnte zum Schlüsselfaktor auf der Suche nach einer Lösung für die Slow Fashion Rezession werden. So könnten Fortschritte bei der Materialentwicklung und bei der Skalierung nachhaltiger Stoffe die Produktionskosten senken und gleichzeitig die Umweltauswirkungen reduzieren. Auch Fortschritte in der Fertigung wie 3D-Druck oder On-Demand-Produktion könnten eine dezentralere, bedarfsgerechtere Produktion ermöglichen und so Überproduktion und Abfall reduzieren.
Fazit: Die Slow Fashion Rezession ist ein Symptom des Umbruchs
Die aktuelle Krise der nachhaltigen Mode ist Teil des Transformationsprozesses der Modeindustrie. Während die Schließung beliebter Labels wie Mara Hoffman zweifellos ein Rückschlag ist, zeigt sie auch die Dringlichkeit fundamentaler Veränderungen auf. Dabei sind die Herausforderungen immens und reichen von Kostendruck über veränderte Konsumgewohnheiten bis hin zu strukturellen Problemen in der Branche.
Doch es gibt auch Grund zur Hoffnung. Technologische Innovationen, ein wachsendes Umweltbewusstsein bei den Verbraucher:innen und neue Geschäftsmodelle könnten Wege zu einer nachhaltigere Zukunft der Mode eröffnen. Entscheidend wird sein, dass alle Akteur:innen – von Designer:innen über Produzent:innen bis hin zum Einzelhandel und Konsument:innen – an einem Strang ziehen, um ein System zu schaffen, das echte Nachhaltigkeit belohnt und fördert. Nur so kann die Vision einer Mode Realität werden, die sowohl ästhetisch ansprechend als auch ethisch und ökologisch verantwortungsvoll ist.
Die Slow Fashion Rezession mag eine schmerzhafte Phase sein, aber sie könnte sich als notwendiger Katalysator für den längst überfälligen Wandel in der Modeindustrie erweisen. Die Marken und Unternehmen, die es schaffen, sich an diese neue Realität anzupassen und innovative Lösungen zu entwickeln, werden die Vorreiter einer neuen Ära der Mode sein – einer Ära, in der endlich Stil und Sustainability, Profit und ethische Prinzipien Hand in Hand gehen.
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