Sind Materialinnovationen die Lösung für mehr Nachhaltigkeit?

Damit nachhaltige Unternehmen einen großen Einfluss auf den Market nehmen können, ist die Skalierbarkeit nachhaltiger Stoffe erforderlich. Aber im Moment sind die Lieferketten dafür noch nicht ausgerichtet

By Christopher Snyder, Material Design Expert

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Autor: Haus von Eden

Die Beschaffung von Rohstoffen für die Textilindustrie sieht sich mit zwei zentralen Problemen konfrontiert: Zum einen der Plastikmüll, der durch Produkte aus erdölbasierten synthetischen Materialien verursacht wird. Zum anderen die Beschaffung von tierischem Leder, die in Bezug auf den Tierschutz alarmierend ist. Daher fördern immer mehr Marken alternative und innovative Materialien, um diese problematischen Ressourcen zu ersetzen. Es ist jedoch fraglich, ob diese Materialien jemals mehr als ein Symbol sein können und wirklich nachhaltige Praktiken vorantreiben können.

Um diese Frage zu beantworten, sprechen wir mit Chris Snyder, Creative Director und Materialdesign-Experte. Mit 17 Jahren Erfahrung in den weltweit größten Sportbekleidungsunternehmen wie Adidas und Nike, wo er globale Textildesign- und Forschungsabteilungen leitete. Er hat Marken geholfen, durch Innovation neue nachhaltige Lösungen und Storytelling für Materialdesign zu gestalten.

"Wir brauchen eine Fülle von innovativen Materialien, die überall eingesetzt werden können. Es erfordert einen Wandel der Denkweisen, Investitionen und Konsumenten-Bildung, um vom Massenkonsum zu einem sinnvollen Konsum zu gelangen."

Aktuelle Material-Innovationen zielen auf Zirkularität

Vor allem Stoffe für die Modeindustrie, aber auch Möbeltextilien erleben derzeit einen Wandel. Vermehrt werden innovative Materialien aus pflanzlichen und recycelten Ressourcen eingesetzt. Unklar ist, ob diese Innovationen zukunftstauglich sind.

„Wenn es um Nachhaltigkeit geht, werden organische, biologisch abbaubare und natürliche Materialien zunehmen, während die Messung der Emissionen zu einer beliebten Methode der Quantifizierung von Materialien wird. Ein weiterer Trend ist die Idee der vollständigen Recyclebarkeit eines einzelnen Produkts, wie beispielsweise der Adidas Loop Schuh“, sagt Christopher Snyder.

Für eine vollständige Zirkularität bedarf es Materialien die vollständig biologisch abbaubar sind, wie zum Beispiel biologisch hergestelltes Pilz- und Apfelleder. Alternativ müssten Materialien zu 100% wiederverwendbar sein.

„Die Recyclingfähigkeit von Produkten ist oft problematisch. Deshalb konzentrieren sich aktuell mehrere Marken darauf, Produkte herzustellen, die aus einem einzigen Material bestehen. Dies bietet jederzeit die Möglichkeit das Produkt vollständig zu recyceln. Bei der Zugabe von weiteren Sekundärmaterialien müssen wir auf chemische Recyclingprozesse zurückgreifen, die wir Stand heute noch nicht haben.“

Lieferketten können alternative Materialien noch nicht skalierbar machen

Um ein Garn herzustellen, kommen Ressourcen oft aus mehreren Quellen und von verschiedenen Lieferanten. Diese sind in den meisten Fällen nicht vollständig rückverfolgbar. Das heisst, dass Lieferketten geprägt sind von Komplexität. Der Übergang zur Nachhaltigkeit stellt somit eine Herausforderung dar, welche gleichzeitig mit hohen Kosten verbunden ist. Andererseits sind zur Entwicklung alternativer Materialien intensive Investitionen oder Umschichtungen von Kapital erforderlich.

„Im Moment ist ein Großteil der Sportbekleidungsindustrie abhängig von einer erdölbasierte Lieferkette. Ich würde sogar sagen dies gilt auch für viele Bereiche der Textilindustrien. Damit nachhaltige Unternehmen einen großen Einfluss auf den Markt haben können, müssen wir eine Infrastruktur aufbauen, welche die Herstellung nachhaltiger Stoffe hochskalieren kann. Doch derzeit fehlt solch eine Infrastruktur, die in der Lage ist täglich eine Million Produkte aus diesen innovativen Materialien herzustellen“, erklärt der Materialdesign-Experte.

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Lederalternativen zum Beispiel sind nichts neues, aber in den letzten Monaten wurde ein wichtiger Meilenstein erreicht, als Stella McCartney die erste Capsule-Kollektion aus Mylo™ Pilzleder lancierte. Dieser Stoff wurde ebenfalls von anderen großen Marken wie Adidas oder Hermès beworben.

„Heute stellen viele Marken nur ein Produkt aus diesem Material her, nicht eine ganze Linie. Sie kratzen also nur an der Oberfläche. Es ist großartig und es ist eine schöne Gelegenheit zum Storytelling, aber was ist der wirkliche Impact? Und hier muss die Skalierbarkeit den Punkt erreichen, an dem Pilzleder in der gleichen Größenordnung hergestellt werden kann wie Kunstleder. Aber für einen echten systematischen Wandel sind Investitionen und Lieferketten noch nicht bereit. Es bedarf Marken-Konglomerate, die in diese Dinge investieren“, sagt Chris.

Ocean Plastic macht aufmerksam, kann das Plastikproblem aber nicht lösen

Jedes Jahr gelangen Millionen Tonnen Plastikmüll in unsere Ozeane, verschmutzen unsere Umwelt und töten Meerestiere. Verbraucher haben schon seit geraumer Zeit die Möglichkeit, Produkte aus recyceltem Kunststoff, zum Beispiel aus Econyl®, einem regenerierten Nylon, oder aus recyceltem „Ocean Waste“, erstmals pioniert vom Adidas x Parley Sneaker, zu erwerben.

Aber kann recyceltes Meeresplastik die Lösung sein? Nein, sagt Chris Snyder, weil ein Großteil dieses Meeresplastiks in Wirklichkeit sogenanntes "Ocean Bound Plastic" ist. Wenn wir über Plastik in den Ozeanen sprechen, denken die meisten Menschen an Plastik, das an Land gespült wird oder an der Wasseroberfläche unserer Meere schwimmt. Das Sammeln dieses Kunststoffs ist jedoch teuer und der Recyclingprozess komplex. Der Großteil des gesammelten Plastiks kann nicht einmal recycelt werden, da durch Salzwasser und Sonneneinstrahlungen zersetzt wurde.

Aus diesem Grund verwenden die meisten Unternehmen das sogenannte „Ocean Bound Plastic“ und bezeichnen es als „Ocean Plastic“. Definitionsgemäß handelt es sich dabei um Plastikmüll, der in einem Umkreis von weniger als 50km rund um die Küste durch Aufräumarbeiten und ehrenamtliche Helfer gesammelt wird.

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„Wenn wir also über recyceltes Plastik sprechen, ist es eher ein Prozess als die Herstellung eines neuen Materials. Die Kosten für die Herstellung neuer Kunststoffe ist in erster Linie von den Erdölpreisen abhängig. Im Vergleich dazu, bleiben die Kosten für recyceltes Material so lange erhalten, bis Skaleneffekte erreicht realisiert werden können. Zudem ist ein komplexer Prozess notwendig, um recycelte Materialien zu erzeugen. Deshalb kostet es Unternehmen mehr, recycelte Waren oder Produkte herzustellen", sagt Christopher Snyder.

Ist veganes Leder die Lösung?

Aber was ist mit veganem Leder, das eigentlich nicht aus biobasierten Materialien wie Kaktus oder Äpfeln besteht. Diese bestehen dann aus synthetischen Materialien. Konsumenten hinterfragen oftmals die hohen Preise für derartiges "vegan leather".

„Wenn wir über synthetisches veganes Leder, im Vergleich zu echtem Leder sprechen, ist dies ein Punkt, der mir persönlich wehtut. Denn veganes Leder ist heutzutage Plastik. Ja, wir verarbeiten kein Tier, um das Material herzustellen, aber ich nehme an, dass die Menschen, die vegan leben, auch die Plastikindustrie nicht unterstützen möchten. Aber oft wissen sie einfach nicht, dass es sich um Plastik handelt.

Vegan ist ein guter Marketingslogan, aber es ist keine wirkliche Darstellung dessen, was der Verbraucher am Ende bekommt. Leder ist meiner Meinung nach immer noch nachhaltiger als Kunstleder. Und vor allem, wenn es ethisch über eine Lebensmittelkette bezogen wird“, erklärt der Designer.

BRAND-GUIDE

Verbraucher sehen die Folgen postindustrieller Abfälle nicht

Zu guter Letzt ist da noch das Abfallproblem. Verschiedene Studien haben Schätzungen über die Gesamtzahl der weltweit produzierten Kleidungsstücke berechnet, die zwischen 80 und 150 Milliarden Stück pro Jahr liegen. Bis zu 47% aller Fasern, die in die Modewertschöpfungskette gelangen, werden in den verschiedenen Produktionsstufen von Fasern, Garnen, Stoffen bis hin zu einem Kleidungsstück zu Abfall.

„Hier liegen viele Probleme, da der Herstellungsprozess zu Abfällen führt, den die Verbraucher nicht sehen. Sie denken, dass sie ein nachhaltiges Produkt erhalten, aber die Produktion hat möglicherweise eine Menge Abfälle verursacht. Zur Lösung braucht es hier die Anwendung mehrerer Technologien. Angefangen mit Bio-Garn oder recyceltem Garn und dann muss man verstehen, welche Technologie oder welcher Prozess weniger Abfall verursacht, zum Beispiel der 3D-Druck.“

Bildung ist ein weiterer wichtiger Hebel zur Förderung von Nachhaltigkeit. Verbraucher müssen die Folgen ihres Konsums verstehen. Diese Bildung müssen Marken und Regierungen gleichermaßen vranbringen.

„Ich denke, es liegt definitiv auch an einer Marke, den Verbraucher aufzuklären. Wir müssen unsere Sprache weiterentwickeln, um zu vermitteln wie die Materialien der Zukunft aussehen können. Zum Beispiel Hanf. Dies ist eine großartige Möglichkeit, wenn es um Nachhaltigkeit geht, und sie hat sich bewährt. Wir haben die Fakten aus der Wissenschaft, welche die Wassereinsparungen bis hin zur Herstellung von Biokunststoffen und Biokraftstoffen aus Hanf belegen. Jetzt braucht es also die Regierung, um Land und Vorschriften zur Verfügung zu stellen, um ein solches Produkt anzubauen, und dann wiederum die Investitionen der Unternehmen.“

Materialien der Zukunft können etwas verändern, erfordern jedoch Investitionen und Bildung

„Wir brauchen einen systematischen Wandel in der gesamten Branche, weg von synthetischen oder erdölbasierten Materialien. Wir müssen zudem die Langlebigkeit von Produkten in den Fokus stellen. Wie können wir Produkte entwickeln, die mit uns wachsen und sich weiterentwickeln? Am Ende des Tages, tut dies eine Tasche aus Plastik nicht. Man kann sie nicht polieren, man kann sie nicht aufarbeiten, das ist nicht das Erbe dieser Produkte.“

„Ich denke, Hanf ist ein großes Thema, aber es löst nicht das Weltproblem. Genauso wie Pilzleder, das löst es nicht. Wir brauchen eine große Variation solcher Materialien, die überall zum Einsatz kommen können. Es erfordert einen Wandel der Denkweisen, Investitionen und der Verbraucher-Bildung, um vom Massenkonsum zu einem sinnvollen Konsum mit dauerhafter Langlebigkeit zu gelangen."

 

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Autor: Christopher Snyder

Chris Snyder ist Creative Director und Materialdesign-Experte. Er hat 17 Jahre Erfahrung in den weltweit größten Sportbekleidungsunternehmen wie Adidas und Nike, wo er globale Textildesign- und Forschungsabteilungen leitete. Er hat Marken dabei unterstützt, durch Innovation neue nachhaltige Lösungen und Storytelling für Materialdesign zu gestalten.

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