Stella McCartney, Gabriela Hearst, Priya Ahluwalia – wenn darum geht, das Thema Nachhaltigkeit in der Modewelt vorantreiben, sind eindeutig Frauen die Vorreiterinnen. Doch dieser Eco Gender Gap könnte zu einem ernsthaften Problem für die ökologische Transformation der Branche werden
Source & Copyright by Ahluwalia, Gabriela Hearst, Stella McCartney
Autor: Haus von Eden
Die Modeindustrie steht vor einer der größten Herausforderungen ihrer Geschichte: der Umstellung auf nachhaltige Praktiken und Produktionsmethoden. Auffällig dabei ist, dass die Mehrheit der kreativen Köpfe hinter den führenden sustainable Brands Frauen sind. Besonders prominente Designerinnen wie Stella McCartney oder Gabriela Hearst haben mit ihrem Engagement und ihrer Reichweite maßgeblich dazu beigetragen, dass Nachhaltigkeit in der Modeindustrie mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Doch wie sind wir an diesen Punkt gelangt, dass überwiegend Frauen die Verantwortung für die grüne Transformation der Modeindustrie auf ihre Schultern nehmen? Im Folgenden wollen wir erklären, warum es kein Zufall ist, dass das sustainable Fashion-Business so stark von female Leaders geprägt ist. Schließlich geht es auch darum zu verstehen, warum dieser Eco Gender Gap langfristig ein Problem für den ökologischen Wandel in der Modewelt darstellen könnte.
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Wie entsteht der Eco Gender Gap?
Die Gründe für das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, wenn es um das Engagement für das Thema Nachhaltigkeit geht, liegt oft in der Erziehung und in den tradierten Rollenbildern. Frauen haben durch ihre Sozialisation häufig eine engere Beziehung zu Umwelt- und Gemeinschaftsthemen als Männer. Schließlich werden oft bei jungen Mädchen Werte wie Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen, und Verzicht zugunsten anderer gezielt gefördert. Daher spüren sie bei ihrem Handeln eine stärke Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen und der Umwelt.
Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede im Bezug auf eine nachhaltige Lebensweise lässt sich auch statistisch belegen. Laut der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) aus dem Jahr 2023 führen mit knapp 64 Prozent zu 37 Prozent deutlich mehr Frauen als Männer einen Lifestyle, bei dem Gesundheit und Nachhaltigkeit im Fokus stehen. So liegt der Frauenanteil laut einer Splendid-Research-Umfrage bei Vegetariern bei rund 80 Prozent. Auch beim Kauf von Secondhand-Kleidung liegen Frauen mit 80 Prozent zu 56 Prozent vorne, wie eine Online-Umfrage im Auftrag von Momox zeigt. Insgesamt sehen sich Frauen laut AWA häufiger als Umweltschützerinnen.
Sogar in den Debatten um sinnvolle Maßnahmen gegen die Klimakrise zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede. Laut einer Studie der US-Psychologin Janet K. Swim verfolgen Frauen eher Ansätze, die auf der eigenen sowie kollektiven Veränderung des Konsumverhaltens und Lebensstils basieren. Dahingegen neigen Männer, die historisch vom Status quo profitiert haben, eher zu der Annahme, dass Technologie, Wirtschaft und Regierungen allein die Probleme lösen können, ohne dass sie ihren Lifestyle ändern müssen oder es sogar eine neue Art des Wirtschaftens braucht.
Der Female Force in der Modebranche
Besonders in der Modebranche hat der ökologische Wandel ein weibliches Gesicht. Ein Grund dafür liegt darin, dass nicht nur ein Großteil der Konsument:innen Frauen sind, sondern auch der Produzentinnen. 80% der Textilarbeiter:innen im Globalen Süden sind nach Schätzungen von Fairtrade International weiblich, daher ist es nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein feministisches Anliegen, die Wirtschafts- und Produktionsweise der Modeindustrie zu ändern. Hier gehen starke Frauen voran. Diese kreativen Köpfe haben dabei einen besonders großen Impact hinterlassen:
Stella McCartney, Gründerin der gleichnamigen Brand
Sie gilt als Pionieren nachhaltiger Modealternativen, wobei sie sich auf den Einsatz von cruelty-free Materialien konzentriert und sich für den Schutz von Tieren stark macht. Durch die Verbindung von High Fashion mit Nachhaltigkeit hat sie gezeigt, dass es möglich ist, stilvolle und luxuriöse Kleidung zu kreieren, ohne ethische und ökologische Prinzipien zu vernachlässigen.
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Gabriela Hearst, Gründerin der gleichnamigen Brand und Ex-Kreativchefin von Chloé
Als Chefdesignerin von Chloé hat Gabriela Hearst die tradionionelle französische Maison als erste Luxury Brand weltweit zur B Corp-Zertifizierung geführt. Diese nachhaltige Mission setzt sie heute mit ihrem eigenen Label Gabriela Hearst fort. Durch Verwendung ökologischer Materialien und Herstellungsprozesse zeigt sie, wie Luxus und Stil mit Umweltbewusstsein koexistieren können. Ihr Einfluss geht über ihre eigene Marke hinaus und inspiriert die Modewelt, nachhaltigere und verantwortungsvollere Ansätze zu verfolgen.
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Priya Ahluwalia, Gründerin der Brand Ahluwalia
Die Designerin Priya Ahluwalia zeigt mit ihrem mehrfach preisgekrönten Label, welches modische Potenzial in Recycling steckt. In Fabriken, die Frauen aus ländlichen Gebieten fair beschäftigen und entlohnen, verwandelt sie Vintage-Materialien durch verschiedene Patchwork-Techniken in einzigartige Modekreationen.Die Inspirationen für ihre Entwürfe zieht die Modemacherin aus ihren indisch-nigerianischen Wurzeln.
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Phoebe English, Gründerin der gleichnamigen Brand
Phoebe English ist eine herausragende britische Modedesignerin. Bei der Erstellung der Kollektionen für ihr gleichnamiges Label zeichnet sie sich besonders durch ihre nachhaltige Herangehensweise aus, indem sie vollständig auf Materialien, die fossile Stoffe beinhalten, verzichtet. Jedes Kleidungsstück wird sorgfältig entworfen, wobei stets nur eine Faser-Art zum Einsatz kommt, um die Recyclingfähigkeit und biologische Abbaubarkeit zu gewährleisten. Für ihre innovativen Ansätze wurde sie mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem "Leaders of Change" Award vom British Fashion Council.
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Eileen Fisher, Gründerin der gleichnamigen Brand
Eileen Fisher gilt als Wegbereiterin bei der Förderung umwelt- und sozialverantwortlicher Praktiken in der Modeindustrie. Ihre Brand ist bekannt für ihr Engagement für Nachhaltigkeit. Bio-Stoffe, recycelte Materialien und faire Arbeitspraktiken gehören für sie schon zum lange zum Standard. Neben dem Kreieren von stilvollen und zeitlosen Designs wirbt Eileen Fisher bereits seit Jahrzehnten für mehr Transparenz in den Lieferketten und für die Einführung nachhaltiger Geschäftsmodelle.
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Warum folgen nicht mehr Brands den guten Beispielen?
Nicht nur in der Modebranche schneiden laut eines Berichts des Europäischen Investitionsfonds frauengeführte Unternehmen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance besser ab als von Männern geleitete Firmen. Auch bei der Implementierung umweltfreundlicher Verfahren sind Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil in der Führungsriege erfolgreicher. Female Ledership steht somit für nachhaltige Geschäftspraktiken, die nicht nur auf kurzfristige Gewinne abzielen, sondern auch die sozialen und ökologischen Auswirkungen des Wirtschaftens berücksichtigen. Für Frauen ist es oft wichtiger, einen unternehmerisch-innovativen Beitrag zum Umweltschutz oder zur Lösung eines gesellschaftlichen Problems zu leisten, als eine reine Gewinnmaximierung zu erreichen.
Und genau hier liegt der Grund, warum nicht mehr Unternehmen den female Leaders folgen. Das weiblich konnotierte Wirtschaften steht im Gegensatz zu der seit Jahrzenten vom Patriarchat und dem Kapitalismus geprägten Logik von Wachstums und Gewinnstreben. Frauen wird oft unterstellt, weniger geschäftsorientiert und dadurch weniger effektiv im harten Wettbewerb zu sein. Es ist daher schwer für die weichen, als weiblich geltenden Erfolgsfaktoren sich durchzusetzen. In vielen Köpfen ist Nachhaltigkeit in erster Linie Frauensache, nice to have, aber nicht notwendig, Profitmaximierung, der im kapitalistischen Denkmuster zentrale Aspekt des Wirtschaftens, hingegen eine Männerdomäne. So sind die Führungsetagen der großen Modekonzerne nach wie vor männlich dominiert - von den 30 führenden Luxusmarken im Vogue Business Index 2023 sind bloß acht der 33 Kreativdirektoren Frauen.
Auswirkungen des Eco Gender Gap auf die Nachhaltigkeitsziele
Dass Nachhaltigkeit als überwiegend weibliche Eigenschaft gelesen wird, entwickelt sich immer mehr zum gesamtgesellschaftlichen Problem, das es erschwert, eine ökologische Wirtschafts- und Verhaltensweise zu implementieren – sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch der Konsument:innen.
So zeigt eine bereits im Jahr 2016 im Journal of Customer Research veröffentlichte Studie, dass sich viele Männer scheuen, nachhaltige und damit als feminin konnotierte Verhaltensweisen zu übernehmen, um ihre geschlechtliche Identität zu bewahren. Nachhaltige Kaufentscheidungen nehmen sie als „nicht männlich“ wahr. Sie fühlen sich nicht nur von nachhaltigen Produktversprechen nicht angesprochen, sondern boykottieren ganz bewusst sustainable Choices, da diese nicht ihrem Verständnis von Männlichkeit entsprechen und nicht auf ihr erlerntes Rollebild einzahlen.
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Was wäre, wenn mehr Männer nachhaltige Mode machen würden?
Von der Tradition zur Transformation: Um wirklichen Wandel zu erzielen und Nachhaltigkeit nicht weiter als Frauendomäne wahrzunehmen, ist es notwendig, nachhaltiges Handeln von stereotypen Geschlechterrollen zu entkoppeln. Um eine geschlechtsneutrale Wahrnehmung von Sustainability voranzutreiben, braucht es neue Vorbilder. Wenn mehr männliche Designer nachhaltiges Handeln propagieren und Stars der Branche wie Kanye West oder Pharell Williams, Nachhaltigkeit so zu ihrer obersten Priorität machen würden wie die weiblichen Trailblazer der Eco-Fashion-Industrie, dann könnten die Auswirkungen beachtlich sein.
Ihr Einsatz für mehr Sustainability würde die Chance für eine umfassendere und schnellere Transformation der Modebranche eröffnen. Denn männliche Designer, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen, könnten dazu beitragen, Geschlechterstereotypen zu durchbrechen und zeigen, dass wirtschaftlicher Erfolg und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können. Sie würden als Rolemodels die Sichtbarkeit und Akzeptanz nachhaltiger Mode beim männlichen Teil der Bevölkerung erhöhen, was zu einem stärkeren globalen Bewusstsein und einer größeren Nachfrage nach ethisch produzierten Kleidungsstücken führen könnte.
Fazit: Inklusive Lösungen für eine nachhaltige Zukunft
Der Eco Gender Gap stellt eine ernstzunehmende Herausforderung für die nachhaltige Transformation der Modeindustrie dar. Klassische Geschlechterrollen wirken als Bremse für den nachhaltigen Wandel. Solange umweltbewusstes Verhalten als "unmännlich" gilt und Frauen die Hauptlast der Verantwortung für den grünen Wandel auf ihren Schultern tragen, wird es schwierig sein, echte Fortschritte zu erzielen.
Um diese Kluft zu überwinden sowie mehr Diversity und damit auch mehr Sustainability in der Modebrache zu etablieren, gilt es, an den Wurzeln anzusetzen und bestehende Geschlechterklischees und -stereotypen zu hinterfragen. Nur wenn wir Nachhaltigkeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen und sich mehr Männer einbringen, können wir eine wirklich inklusive und zukunftsfähige Modeindustrie schaffen. Frauen wie Stella McCartney, Priya Ahluwalia oder Gabriela Hearst haben den Weg bereitet, aber sie allein können nicht die gesamte Branche verändern.
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