Cradle to Cradle Begründer Braungart über Produkte ohne schlechtes Gewissen

Cradle to Cradle fordert eine revolutionäre Innovation unserer Produkte in Sachen Design, Produktion, Nutzung und Rücknahme. Das Resultat ist eine Welt ohne Müll

Interview mit Prof. Dr Michael Braungart

cradle2cradle ein Konzept der Innovation und Zukunft
Quelle Freepik & Copyright by pch.vector

Autor: Haus von Eden

Cradle to Cradle (C2C) ist ein Ansatz der Kreislaufwirtschaft, entworfen von dem deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough. Das System des C2C beruht auf dem Ansatz, dass sämtliche Materialien in Kreisläufe zurückgeführt werden können. Das Resultat: Eine Welt ohne Müll!

Dabei wird zwischen biologischen und technischen Kreisläufen unterschieden. Bei Verbrauchsgütern gehen die „biologischen Nährstoffe“ nach Abnutzung in den biologischen Kreislauf zurück und somit als Kompost zurück in die Natur. Bei Gebrauchsgütern werden die „technischen Nährstoffe“ in den technischen Kreislauf zurückgeführt, also zu den Herstellern, wo die kostbaren Ressourcen wiederverwertet werden können.

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Quelle & Copyright EPEA

Im Unterschied zum klassischen Recycling, wird im Rahmen dieser Wiederverwertung die Qualität nicht reduziert. So gehen Ressourcen nicht verloren, sondern sind immer „Nahrung“ für ein neues Produkt. Das Prinzip des Abfalls wird neu definiert, denn aus allem wird etwas Neues geboren, daher der Name Cradle to Cradle, wörtlich übersetzt "Von der Wiege zur Wiege".

Neben diesem sogenannten „Nährstoff bleibt Nährstoff“ Prinzip, spielen die Nutzung von erneuerbaren Energien sowie die Förderung der kulturellen und biologischen Diversität eine große Rolle. Sie stellen zusammen die drei Prinzipien des C2C Designkonzeptes dar.

Bei uns erklärt Prof. Dr. Michael Braungart, früherer Greenpeace Aktivist, warum Nachhaltigkeit ein reines Schuldmanagement ist und Cradle to Cradle als Innovationschance verstanden werden muss.

BRAND-GUIDE

Nachhaltigkeit ist ein reines Schuldmanagement

Nachhaltigkeit macht die falschen Dinge perfekt. Wir schützen die Umwelt nicht indem wir weniger Auto fahren oder weniger Müll generieren, wir zerstören lediglich weniger. Für weniger Zerstörung sind wir allerdings viel zu viele Menschen auf der Welt. Es bringt uns also nichts die Plastikflasche um 2 Gramm leichter zu machen oder aus weichmacherhaltigem PVC recycelte Taschen herzustellen. Dieselben Dinge zu optimieren, um sie weniger schädlich oder leichter zu machen, hat den Effekt, dass man die falschen Dinge perfekt macht und damit sind sie perfekt falsch.

Der C2C Ansatz zielt daher darauf ab Dinge neu zu erfinden, anders zu denken und anders zu gestalten. Es geht darum die Dinge nützlich zu machen. Das hat nichts mit der klassischen Nachhaltigkeit zu tun. Denn es geht nicht darum das Bestehende zu verbessern. Was wir also brauchen ist besseres Plastik und andere Kunststoffe, die in biologische Systeme zurückgeführt werden können.

Cradle to Cradle - ein Innovationkonzept über den Nutzen

Der deutsche Maschinenbau wird so wie er heute ist in Zukunft nicht mehr existieren, weil die Menschen grundsätzlich keine Maschinen brauchen, sondern lediglich die Nutzung der Maschine. Wir konsumieren keine Waschmaschine und keinen Fernseher, sondern die Dienstleistung dahinter. Niemand braucht eigentlich die Waschmaschine zu besitzen.

Das digitale Denken für solche Konzepte ist allerdings noch nicht vorhanden. Die digitale Welt braucht definierte Nutzungszeiten, dann wissen Unternehmen wann Materialien wieder zur Verfügung stehen. Es ist das Gegenteil des Langlebigkeitsgedanken.

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Quelle & Copyright by Napapijri

Unternehmen können als Materialbank Kosten reduzieren

Nach dem C2C Ansatz stellen Unternehmen, ganz nach dem Sharing- oder Pfandprinzip, den Konsumenten, die Nutzung der Maschinen für eine bestimme Dauer zur Verfügung. Durch ein entsprechendes Rücknahmesystem werden die Maschinen dann von den Herstellern wieder zurückgenommen. Dem Kunden werden z.B. 10.000 Waschgänge verkauft. So können die Materialien wieder in den technischen Kreislauf zurückgeführt und kostbare Rohstoffe wiederverwertet werden.

Hersteller können dadurch ihre Kosten drastisch reduzieren und von Anbeginn unter dem Einsatz besserer Materialien, bessere Produkte designen. Sie müssen nicht mehr mit Billigprodukten aus Asien konkurrieren. Es ist somit ein großes Vorurteil, dass Cradle to Cradle Produkte teurer sind. Ganz im Gegenteil, sie sind im Schnitt etwa 20% kostengünstiger.

Demzufolge ist eine innovative Revolution unserer Produkte gefragt. Beginnend bei den Rohstoffen, über Produktion, Nutzung und bis hin zur Rücknahme. Das Ergebnis ist eine Welt wo Abfälle Nährstoffe sind.

Tarkett cradle2cradle

Quelle & Copyright by Tarkett Bodendesign (C2C zertifiziert)

Eine neue Kultur der Großzügigkeit

Der klassische Nachhaltigkeitsgedanke macht den Kunden zum Feind, denn er propagiert den Verzicht auf Konsum, getrieben von einem schlechten Gewissen. Quasi ein Schuldgefühl über das eigene Dasein. Das macht Menschen raffgierig. Ein Kirschbaum im Frühling vermeidet jedoch auch nicht seine Früchte, er reduziert und minimiert nicht. Der C2C Ansatz fordert daher eine intelligente Verschwendung.

Wir müssen mehr konsumieren, um die Unternehmen in die Lage zu versetzen neue Ansätze zu entwickeln und Unternehmensabläufe Schritt für Schritt zu verbessern. Zum Beispiel durch neue Wassermanagement- und Rücknahmesysteme. Je mehr gekauft wird, desto schneller kann dieser Wandel erreicht werden. Es geht darum die Dinge nützlich zu machen. In der Cradle to Cradle Denkschule ist der Mensch ein Nützling und Teil der Natur.

Greta Thunberg zerstört die Umwelt nur etwas weniger

Cradle to Cradle ist kein Moralthema, sondern ein Innovationsthema. C2C Produkte sind grundsätzlich profitabler und setzen das ganze Know-How aus Umwelt und Gesundheit in Innovation, Qualität und Schönheit um. Der größte Fehler von Unternehmen ist der Versuch das Bestehende zu optimieren. Die Umwelt wird aber nicht geschützt, wenn man sie ein bisschen weniger zerstört.

Selbst Greta Thunberg beschützt die Umwelt nicht, wenn sie mit dem Zug fährt, sie zerstört bloß ein bisschen weniger. Die Ketten alter Denkmuster müssen gesprengt werden, um alles von Anfang bis (Neu-)Anfang umzudenken und zu gestalten, von der Wiege zur Wiege.

11.000 Cradle to Cradle Produkte

Jede Designschule der Welt lehrt heutzutage Cradle to Cradle. Es gibt mittlerweile 11.000 zertifizierte C2C Produkte und zahlreiche Cradle to Cradle Modellregionen, wie z.B. Bielefeld oder Ost Westphalen. Die Niederlande ist klarer Vorreiter, aber auch kleine Städte und insbesondere Grenzregionen wie Südtirol sind auf dem Weg zur Modellregion.

In China setzt sich der Ansatz sogar rapide durch, da die Menschen es gewohnt sind in Kreisläufen zu denken. Dort fehlt allerdings die gesellschaftliche Diskussion über Umweltfragen, wofür eine offene und freie Gesellschaft Voraussetzung ist.

Venlo City Hall

Quelle & Copyright by EPEA - Venlo C2C Modellregion City Hall

Die öffentliche Nachfrage als wichtigster Treiber

Die junge Generation, Millenials und Generation Z, werden den Cradle to Cradle Ansatz zukünftig massiv vorantreiben. Diese Selfie-Generation ist frei von Strafpädagogik, mit einem breiten Selbstwertgefühl aufgewachsen und dadurch andersdenkend. Deren Lifestyle braucht keine göttliche Schöpfung, sie halten nichts von Eigentum, sondern möchten einfach nur Verfügbarkeit. Sie verstehen ganz einfach, dass Müll negativ ist und daher ist Müllvermeidung eine Selbstverständlichkeit. Diese Generation wird die öffentliche Nachfrage für Cradle to Cradle rapide voranbringen. Alles andere kommt ganz von selbst.

 

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Interview mit Prof. Dr. Michael Braungart

Professor Dr. Michael Braungart entwickelte zusammen mit William McDonough das Cradle-to-Cradle-Konzept. Braungart ist Gründer und wissenschaftlicher Geschäftsführer von EPEA (Environmental Protection Encouragement Agency Internationale), ein internationales Umweltforschungs- und Beratungsinstitut mit Hauptsitz in Hamburg. Um Lösungen für komplexe Umweltprobleme zu entwickeln, wurde EPEA 1987 von Greenpeace gründet. Seitdem befasst sich Braungart mit der Forschung und Beratung für öko-effektive Produkte. Braungart ist zudem Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam und an der Leuphana Universität Lüneburg Professor für Eco-Design sowie Leiter des Hamburger Umweltinstituts.

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