COP27: Klimaschutz als Frage sozialer Gerechtigkeit

Die Bedrohung des Klimawandels erlaubt in Bezug auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit keine Kompromisse mehr - Das fordert die COP27

Source & Copyright COP27 | Sharm El-Sheikh, Egypt 2022
Source & Copyright COP27 | Sharm El-Sheikh, Egypt 2022

Autor: Julia

Nachdem die 27. UN-Klimakonferenz aufgrund der Pandemie von 2021 auf 2022 vertagt wurde, findet die COP27 aktuell vom 6. bis zum 18. November im ägyptischen Sharm el-Sheikh statt. Offiziell, neu und längst überflüssig auf der diesjährigen Agenda: Klimagerechtigkeit. Bei den bisherigen Gipfeln ging es primär um die Energiewende und CO-Reduktion. Also Interessen des Globalen Nordens. Angesichts Ägyptens Position als Gastgeber und Vertreter Afrikas sowie der arabischen Welt und immer lauter werdenden Forderungen nach Klimahilfen für Entwicklungsländer, forciert die COP27 nun endlich die relevante Perspektive des Globalen Südens.

COP27 positioniert Klimaschutz als Frage sozialer Verantwortung

Das Schlagwort Klimagerechtigkeit beschreibt die Entschädigung von Ländern, die aufgrund der Klimakrise von irreparablen Schäden betroffen sind. Genauer fordern Vertreter:innen des Globalen Südens sowie Klimaaktivist:innen finanzielle Unterstützung von den Staaten der Nordhalbkugel. Die politisch freien und wirtschaftlich stabilen Industrieländer seien aufgrund ihrer Ökonomie für die Umweltprobleme der Entwicklungsländer verantwortlich, darunter Fluten und Dürren. Und zwar mit dem Ergebnis, dass sozial vulnerable Gruppen des Globalen Südens überproportional von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Ohne maßgeblich schuldtragend zu sein - Afrika ist für weniger als 4% der globalen Emissionen verantwortlich - geschweige denn die relevanten Ressourcen zum Umgang zu haben.

Deshalb erklären Interessengruppen auf der COP27: Den Klimawandel zu bekämpfen heißt auch soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Die großen Emittenten des wohlhabenden Nordens müssten dringend Lösungen für klimabedingte Verluste und Schäden im Globalen Süden finden und soziale Auswirkungen auffangen. Aus finanzieller Perspektive geht es dabei um erhebliche Summen. Kontinuierlich wachsende Klimaschäden haben zu einem Bedarf nach Rettungsfinanzierungen und so einer Verschuldung vieler Entwicklungsländer geführt. In Zukunft muss es allerdings um mehr als monetäre Kompensation gehen. Um nachhaltigen Wandel zu initiieren, muss der Globale Norden neue Wirtschaftsmodelle, die Umweltschäden einkalkulieren, entwickeln.

Deutschland als Brückenbauer zwischen Globalem Süden und Norden

Was es also braucht ist ein neues Mindset: Verantwortung und Solidarität müssen blindes Streben nach Profit und Wachstum ersetzen. Bis dato hat sich diese Perspektive jedoch nicht wirklich etablieren können. In den letzten Jahren haben sich die Industrieländer vermehrt gegen die Forderungen für "loss and damage" gewehrt, nötige Hilfen blockiert. Um dem entgegenzuwirken, möchte sich Deutschland im Rahmen der COP27 als Brückenbauer zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern positionieren. Laut Aussagen des Bundesministeriums sei dieses Bestreben aufgrund Deutschlands Position als einer der größten Finanziers des Globalen Südens glaubwürdig.

Deutschland habe bereits 5,3 Milliarden Euro aus öffentlichen Mitteln gezahlt. Inklusive privater Investments sogar 8 Milliarden Euro. Diese Ausgaben sollen in Zukunft weiter gesteigert werden: Bis 2025 will Deutschland weitere 6 Milliarden Euro in Klimahilfen investieren. Und auf der Konferenz für dieses Commitment werben, um andere Staaten zum Mitziehen zu inspirieren. Weitere Vorschläge, die Deutschland bei der COP27 einbringen sowie diskutieren will, umfassen einen globalen Schutzschirm gegen Klimakrisen, der auch die V20 (die verletzlichsten Staaten der Welt) umfasst und ein differenziertes System, das Schulden bei verschiedenen Instanzen wie Staaten, Welt- und Privatbanken sowie Fonds berücksichtigt.

COP27 fordert Einhaltung und Weiterentwicklung der COP26-Ziele

Der Diskurs rund um Klimagerechtigkeit ist relevant, um dem Klimawandel als globale Einheit zu begegnen. Bereits 2009 hatte der Globale Norden den Entwicklungsländern eine Summe von 100 Milliarden für Klimaschutzmaßnahmen versprochen. Und diese nicht rechtzeitig bereitgestellt. Das Ergebnis: Ein Vertrauensverlust, den es heute zu überholen gilt. Die COP27 muss neues Engagement, progressive Allianzen und konkrete Initiativen hervorbringen. Nur so können die Industriestaaten das Vertrauen des Globalen Südens zurückgewinnen.

Wichtig dafür: Die Staaten müssen ihre auf der COP26 in Glasgow definierten Klimaziele erreichen. Und zwar ASAP. Um diese Forderung zu unterstreichen, hat Deutschland gemeinsam mit 200 Unternehmen, Organisationen und Prominenten eine Initiative lanciert, die an die teilnehmenden Regierungen appelliert, ihre Verpflichtungen einzuhalten. Vor allem die fortschrittlichsten Volkswirtschaften der Welt seien verpflichtet, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, so der Aufruf. Kontrovers erscheint in diesem Kontext allerdings, dass auch in der Kritik stehende Unternehmen wie Amazon oder Nestlé Teil der Initiative sind.

Zudem richtet sich der Appell direkt an die USA. Als einer der stärksten Emittenten ständen sie in der dringenden Pflicht zu handeln und Finanzierungsmechanismen für bestehende Klimaschäden einzurichten. Auf der COP27 reagierte Präsident Biden auf diese Forderung, indem er diese Verantwortung anerkannte sowie versicherte, dass der den Globalen Süden auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützen würde. Dazu kündigte er gemeinsam mit der EU Millionenhilfen und die Finanzierung erneuerbarer Energien für afrikanische Länder an.

Women's Empowerment für eine klimaresistente Zukunft

Allerdings wurde Gerechtigkeit nicht nur in Bezug auf die Nord- und Südhalbkugel, sondern auch auf Geschlecht diskutiert. Da Frauen in den Strukturen der Klimagovernance nach wie vor unterrepräsentiert sind, brachte der Gender Day der COP27 weibliche Führungspersönlichkeiten aus dem Klimabereich auf nationaler, regionaler und globaler Ebene zusammen. Diese sprachen in 11 Veranstaltungen über Aktionspunkte zur Einbeziehung von Frauen in gerechte Übergangsprozesse und die Stärkung der Resilienz von Gemeinschaften. So wurde die UN-Klimakonferenz zu einer wichtigen Plattform für die Förderung geschlechtersensibler und reaktionsschneller Politiken, Strategien und Maßnahmen.

Während Frauen strukturell unterrepräsentiert sind, sind sie auf dem afrikanischem Kontinent überproportional stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Sie sind in hohem Maße von Landwirtschaft, Viehzucht und Wassermanagement abhängig - umweltbezogenen Lebensgrundlagen, die klimabedingt beschädigt oder zerstört werden. So machen Frauen und ihre Kinder bei Naturkatastrophen circa 80% der Hilfsbedürftigen aus, haben in ländlichen Gegenden sogar ein 14-mal höheres Risiko zu sterben. Die COP27 stellt fest: Ohne sozioökonomischen Unterstützung und Maßnahmen gegen den Klimawandel, wird die Geschlechtergerechtigkeit im Jahr 2030 wieder auf dem Stand von 2010 sein.

In Reaktion auf dieses Ungleichgewicht verkündigte und startete Dr. Maya Morsi, Präsidentin des ägyptischen nationalen Frauenrates, während der Eröffnungssitzung des Gender Days eine Initiative zur Unterstützung von Frauen als gleichberechtigte Akteurinnen im Klimaschutz. Die African Women's Climate Adaptive Priorities (AWCAP). Diese soll Frauen stärker in die Umweltpolitik einbeziehen, um den Übergang zu einer grünen Wirtschaft sowie klimaresistenten Zukunft voranzutreiben. Zudem sei es wichtig Barrieren abzubauen, sodass Frauen einen besseren Zugang zu Bildung erhalten und ihre Umweltbelange sowie Realitäten teilen können. Durch einen derartigen Bottom-Up-Ansatz könnten Frauen nicht nur Opfer, sondern auch mächtige Akteurinnen des Wandels werden, so Dr. Morsi.

Neu auf der Agenda: Klimagerechtigkeit bedeutet Generationengerechtigkeit

Neben dem Gender Day wurde ein gesamter Thementag der COP27 Youth und Future Generations gewidmet. Damit gab die UN-Klimakonferenz jungen Menschen erstmals eine entscheidende Plattform, da ihre Gesundheit, Ernährung, Bildung und Zukunft direkt von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Im Austausch mit Entscheidungsträger:innen ließen sich die Zugänglichkeit zu Finanzierungsmechanismen für Verluste und Schäden und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Klimas als Prioritäten der nachrückenden Generationen identifizieren.

Lösungs- statt problemorientiert präsentierten afrikanische Jugendexperten, Start-ups und Unternehmen ihre Basisinitiativen zur Klimaanpassung und -abschwächung sowie innovative Lösungen mit systematischen und übergreifenden Ansätzen zur Bewältigung lokaler Herausforderungen während der Sitzung. Auf diese Weise konnten sich die Future Generations klar als Katalysator für Ambitionen, Rechenschaftspflicht und Klima- sowie Generationengerechtigkeit positionieren.

Ökologische Nachhaltigkeit auf der COP27 - CO2-Reduktion, Landwirtschaft, Wasser, Energie und Artenvielfalt

Im Hinblick auf ökologische Nachhaltigkeit umfasst die COP27 Thementage zu Dekarbonisierung, Agrikultur, Wasser, Energie und Biodiversität. Am 11.11., dem Decarbonisation Day, ging es beispielsweise um dringende Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen in allen Industrien. Allerdings lag besonderer Fokus auf den kohlenstoffintensivsten Sektoren wie Stahl, Öl oder Gas. Einen Tag später befasste sich der Adaption and Agriculture Day mit der dringenden Umgestaltung der Systeme für Agrarnahrungsmittel, der Integration von Klimaschutzmaßnahmen in Frieden und Sicherheit, der Verbesserung der Lebensqualität der V20 bis 2030 und der Bereitstellung gesunder Ernährung.

Weitere Themen wie die steigende Wassernachfrage sowie die übergeordneten Ergebnisse der COP27 werden in unserem Follow-up nach Ende der Klimakonferenz diskutiert.

Zwischenfazit: Das implizieren die ersten Ergebnisse der COP27

Zum aktuellen Zeitpunkt der Konferenz lässt sich resümieren: Die Industriestaaten müssen mutige und sofortige Maßnahmen zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens umsetzen. Und ihren Wohlstand nutzen, um den globalen Süden zu unterstützen. Die COP27 hat die Frage sozialer Gerechtigkeit - in Bezug auf Herkunft, Geschlecht und Generationen - nämlich klar in den Fokus der Klimadebatte gerückt. Alle Parteien müssen nun ihren kompromisslosen politischen Willen zeigen, Fortschritte bei der Verbesserung der Widerstandsfähigkeit voranzutreiben und die V20 zu unterstützen.

Als Schlüssel zur Erreichung dieser Vision gilt eine umfassende Klimafinanzierung, die sich durch Transparenz und Zugänglichkeit auszeichnen muss. Nur so kann das Vertrauen zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern wieder gestärkt werden. Fernab vom Worte-statt-Taten-Image müssen jetzt auch die bisherigen Blocker des Wandels mobilisiert werden. Und den transnationalen Dialog in Action umsetzen.

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