Mehr Schein als Sein? Das Bio-Präfix auf dem Prüfstand

Ein kleines Wort mit großer Wirkung: Das Bio-Präfix macht es scheinbar leicht, nachhaltige Produkte und Materialien auf den ersten Blick zu identifizieren. Doch beim genaueren Hinsehen wird klar: Längst ist nicht überall, wo „Bio“ draufsteht, auch tatsächlich „Bio“ drin

Bio-Präfix
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Autor: Haus von Eden

Bio-Materialien gelten im Sinne der Nachhaltigkeit als die aktuell beste Wahl und große Hoffnung für die Zukunft. Schließlich scheint ihre Verwendung der einfachste Weg zu einer nachhaltigeren Welt zu sein, in der Produkte, Verpackungen oder sogar Gebäude aus natürlich gewachsenen Rohstoffen bestehen, statt aus Materialien, die aus fossilen Ursprüngen gewonnen werden. Daher sind auch immer mehr Verbraucher:innen bereit, für solch vermeintlich nachhaltige Produkte tiefer in die Tasche zu greifen und laut einer aktuellen Studie von Bain & Company sogar einen Aufpreis von 12 Prozent und mehr zu zahlen.

Die Gefahr von Greenwashing durch das Bio-Präfix

Kein Wunder, dass bei der großen Resonanz der Konsument:innen, dass Präfix "Bio" vom Marketing gerne verwendet wird. Schließlich suggeriert es Natürlichkeit, Kompostierbarkeit und eine generell bessere Verträglichkeit für Mensch und Umwelt. Doch diese Behauptungen erweisen sich oft als fragwürdig, wenn man sich die Wahrheit hinter den Werbeslogans etwas genauer anschaut. So ergab eine Studie von RepRisk einen Anstieg von 70 Prozent bei Vorfällen von Greenwashing zwischen 2022 und 2023.

Die Unternehmen nutzen dabei eine Lücke in der aktuellen Gesetzgebung. Denn, was viele nicht wissen: Die Verwendung des Bio-Präfix ist nur im Bezug auf Nahrungsmittel gesetzlich geregelt. In der Lebensmittelindustrie müssen Produkte, die als "Bio" gekennzeichnet sind, bestimmte Richtlinien für den ökologischen Anbau erfüllen. Diese umfassen zum Beispiel den Verzicht auf synthetische Düngemittel, Pestizide und gentechnisch veränderte Organismen. Darüber hinaus werden Bio-Lebensmittel von einer Kontrollstelle überprüft und zertifiziert. Nur dann dürfen sie das "Bio“-Siegel tragen. Dadurch haben Verbraucher:innen die Sicherheit, dass die Bio-Lebensmittel, die in ihrem Einkaufswagen landen, tatsächlich nach ökologischen Richtlinien produziert wurde.

Ganz anders sieht es außerhalb der Lebensmittelindustrie aus. Hier ist die Verwendung des Bio-Präfix aktuell kaum reguliert – und das wird von vielen Firmen schamlos ausgenutzt. Oft wird die Bezeichnung „Bio“ als Marketinginstrument eingesetzt, um Produkte als umweltfreundlich und ökologisch darzustellen, ohne dass es dafür klare Richtlinien oder Zertifizierungen gibt. Es ist also wichtig, ganz genau hinzuschauen und Herstellungsprozesse sowie Inhaltsstoffe zu checken, um beurteilen zu können, ob das mit „Bio“ beworbene Produkt tatsächlich nachhaltig ist.

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Zertifizierungen als Alternative zum Bio-Präfix

Angesichts der häufigen Irreführung durch das Bio-Präfix können Zertifizierungen und Siegel für mehr Klarheit sorgen. Sie bieten höhere Transparenz und Sicherheit, dass Produkte tatsächlich umweltfreundlich und nachhaltig sind. Auf folgende Zertifizierungen ist dabei aufgrund ihrer strengen Kriterien Verlass:

  1. Das FSC-Siegel: Das Forest Stewardship Council (FSC) ist eine internationale Organisation, die nachhaltige Forstwirtschaft zertifiziert. Das FSC-Siegel auf Holzprodukten oder Papier bedeutet, dass das Material aus verantwortungsvoll bewirtschafteten Wäldern stammt.
  2. Das Cradle-to-Cradle-Siegel: Dieses Siegel zertifiziert Produkte, die den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft entsprechen und am Ende ihres Lebenszyklus vollständig recycelt oder kompostiert werden können.
  3. Das GOTS-Siegel: Die Global Organic Textile Standard (GOTS) ist eine Zertifizierung für Bio-Textilien, die den gesamten Produktionsprozess von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Verarbeitung und Verpackung abdeckt.

Diese Zertifizierungen bieten im Gegensatz zum Bio-Präfix eine verlässliche Orientierung im Nachhaltigkeits-Dschungel.

Bio? Nicht um jeden Preis!

Trotz aller Unklarheiten rund um die Kennzeichnung von nachhaltigen Materialien und Produkten ist eines klar: Wir brauchen mehr Bio! Um langfristig die CO2-Emissionen zu senken, ist eine Substitution fossiler Rohstoffe durch Bio-Materialien unumgänglich. So kam eine kürzlich veröffentlichte Studie der Radboud Universiteit in den Niederlanden zu dem Schluss, dass Bio-Materialien die Treibhausgasemissionen im Durchschnitt um 45 Prozent im Vergleich zu fossilen Rohstoffen reduzieren könnten.

Allerdings bietet die Verwendung von Bio-Rohstoffen keine Wunderlösung für die Klimakrise. Insbesondere gilt es, die sogenannten "regrettable substitutions" zu vermeiden, also wenn ein Material durch ein anderes ersetzt wird, das lediglich eine neue Reihe von Problemen mit sich bringt. Hierfür sind Lebensmittelverpackungen auf Basis von Papier oder Zuckerrohrfasern, die oft als Alternativen zu Plastikverpackungen eingesetzt werden, ein gutes Beispiel. Diese Materialien brauchen, damit sie für die Verpackung von Lebensmitteln geeignet sind – anders als Plastikverpackungen – eine fettabweisend Beschichtung. Dafür kommen oft per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) zum Einsatz. Diese sogenannten "ewigen Chemikalien" reichern sich aufgrund ihrer langfristigen Persistenz in der Umwelt an und nicht zuletzt auch in unseren Körpern. Dies macht klar, dass ein Ersatzprodukt für fossile Rohstoffe nicht immer automatisch die bessere Wahl ist.

Das Problem von Bio-Plastik

Aktuell verzeichnet auch die Bio-Plastik-Industrie ein starkes Wachstum. Grund dafür sind neben Sustainability-Kriterien auch die hohen Ölpreise, die fossile Kunststoffe weniger wettbewerbsfähig machen. Die meisten Arten von Bio-Plastik werden aus Ethanol hergestellt, das üblicherweise aus Mais, Weizen oder Zuckerrohr gewonnen wird. Zuckerrohr etwa wird in Monokulturen in tropischen und subtropischen Ländern wie Brasilien angepflanzt. Der Zucker wird extrahiert, fermentiert und destilliert, um Vorprodukte für Bio-Kunststoff zu erzeugen.

Um die wahre Umweltbilanz von Bio-Plastik beurteilen zu können, müsste man also genau die Anbaumethoden prüfen, zum Beispiel bezüglich des Einsatzes von Pestiziden, Düngemitteln oder Rodungspraktiken. Es ist also nicht leicht, auf den ersten Blick den Nachhaltigkeits-Gehalt eines vermeintlichen Bio-Rohstoffs zu erkennen, und es muss stets die gesamte Produktionskette betrachtet werden.

Ganzheitlicher Blick auf Bio-Versprechen

Bei der Bewertung von Bio-Produkten mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit gilt es, am Anfang gleich das Ende mitzudenken. Schließlich sind Materialien nur dann wirklich nachhaltig, wenn sie sich leicht kompostieren oder durch Recycling in den Rohstoff-Kreislauf zurückführen lassen.

Biologisch abbaubarer Kunststoff scheint auf den ersten Blick eine Lösung für die alarmierende Anreicherung von Mikroplastik überall auf der Welt zu bieten. Allerdings bedeutet "biologisch abbaubar" nicht zwangsläufig, dass ein Material sich innerhalb einer kurzen Zeit tatsächlich in der Umwelt zersetzt. Eine Studie der UCL aus dem Jahr 2022 zu vermeintlich "kompostierbaren" Bio-Plastikarten zeigt, dass 60 Prozent innerhalb der getesteten Zeiträume nicht vollständig abgebaut wurden.

In diesem Zusammenhang ist auch eine kürzlicher Gerichtsprozess gegen das US-Biotech-Unternehmen Danimer Scientific Inc. spannend. Der Hersteller von biologisch abbaubaren Produkten hatte damit geworben, dass sein innovatives Kunststoffmaterial sich nicht nur in industriellen Kompostieranlagen, sondern auch auf Deponien und im Ozean biologisch zersetzen lässt. Vor Gericht kam heraus, dass das Unternehmen Abbautests mit dem Kunststoff in Pulverform durchgeführt hatte – die Ergebnisse hatten also keinerlei Aussagekraft über den Abbau von realen Produkten wie zum Beispiel Flaschen, die häufig als Müll im Meer landen.

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Neue Gesetze für mehr Transparenz

Es gibt gute Aussichten: In Zukunft werden Hersteller transparenter über die tatsächliche Umweltbilanz ihrer Produkte sein müssen. In der EU tritt 2026 eine neue Gesetzgebung zur Bekämpfung von Greenwashing bei Produktkennzeichnungen in Kraft. Die neue Regelung ist eine direkte Reaktion auf den Anstieg irreführender Werbeversprechen von Unternehmen. Eine von der EU in Auftrag gegebene Studie hatte ergeben, dass 53 Prozent der grünen Produktversprechen vage, irreführend oder unbegründet sind und 40 Prozent keinerlei Belege aufweisen. In Großbritannien hat die Wettbewerbsbehörde CMA den Green Claims Code veröffentlicht – einen sechspunktigen Leitfaden, der Unternehmen helfen soll, klar zu kommunizieren und Kunden nicht in die Irre zu führen.

Fazit: Bio bedeutet nicht unbedenklich

Mit dem Bio-Präfix verleihen viele Firmen ihren Produkten einen grünen Anstrich. Dabei nutzen sie aktuell noch lückenhaften gesetzlichen Regelungen für die Verwendung der Bio-Bezeichnung außerhalb der Lebensmittelindustrie aus und führen Konsument:innen so in die Irre. Daher ist es wichtig, die Herkunft von Produkten und Materialien genau zu hinterfragen und auf aussagekräftige Zertifizierungen zu achten.

Außerdem sollten wir im Sinne der Nachhaltigkeit das gesamte Bild im Blick zu behalten und neben der Herkunft auch den kompletten Lebenszyklus des Produkts – von der Herstellung über die Nutzung bis zur Entsorgung – bedenken. Denn Produkte, die wirklich „Bio“ sind, folgen dem natürlichen Kreislauf des Lebens und hinterlassen keinerlei schädliche Spuren auf der Erde.

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