Erst Greenwashing, jetzt Woke Washing? Immer mehr Brands nutzen den Pride Month, um ihr Engagement für soziopolitische Themen zu kommunizieren - auch ohne echte Werte dahinter
Autor: Julia
Ist Vielfalt die neue Nachhaltigkeit? Zumindest aus einer Marketingperspektive. Anlässlich des Pride Month integrieren schließlich immer mehr Unternehmen Diversity-Claims in ihre Botschaften zur Vermarktung ihrer Dienstleistungen oder Produkte. Der Grund: Soziales Bewusstsein, Inklusion und soziopolitische Verantwortung versprechen, die Verkaufszahlen der damit beworbenen Produkte in die Höhe zu katapultieren. Konsument:innen wollen Waren kaufen, die ihren Werten entsprechen, und so honorieren sie die Diversity-Commitments von Unternehmen mit ihren Kaufentscheidungen.
Wokeness ist im Trend, aber wie viel wahres Engagement der Werbetreibenden steckt wirklich dahinter? Genau wie beim Thema Nachhaltigkeit kommunizieren einige Unternehmen plakative Bekenntnisse und proklamieren ihre Commitments, ohne diese Werte tatsächlich zu vertreten sowie entsprechende Geschäftspraktiken umzusetzen. Nur geht es hier nicht um Greenwashing, sondern um Woke Washing. Eine Art des irreführenden Marketings zum Imageaufbau sowie zur Steigerung von Verkaufszahlen, die sich auf gesellschaftspolitische sensible Themen wie Geschlecht oder Ethnie bezieht.
Wenn Sichtbarkeit nicht mehr genug ist
Natürlich ist Marketing im Allgemeinen keine schlechte Sache. Vielmehr ist es ein wichtiges Instrument, um auf Missstände wie soziale Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen und Sichtbarkeit sowie Bewusstsein zu schaffen. Representation matters! Allerdings sollte Marketing doch auch authentisch und glaubwürdig statt irreführend sein.
Welchen Mehrwert hat die bloße Darstellung einer sozial wünschenswerten Utopie? Welchen Beitrag leisten Marken zu Female Empowerment, wenn sie sich kommunikativ für Frauenrechte einsetzen und Frauen gleichzeitig noch immer schlechter bezahlen? Inwiefern kann eine Werbekampagne, die die LGBTQIA+ Community repräsentiert, etwas bewirken, solange Mitarbeiter:innen des Unternehmens sich nicht trauen, sich am Arbeitsplatz zu outen? Oder kurz: Was nützt eine stereotype Kommunikationsstrategie, die von den internen Geschäftspraktiken und Werten abgekoppelt ist? Sichtbarkeit - klar. Doch brauchen wir nicht etwas Sinnvolleres sowie Grundlegenderes, um starre Strukturen zu brechen sowie zu überholen?
Unternehmenserfolg durch Woke-Sein statt Woke Washing
Der afroamerikanische Begriff woke ist ein Synonym für soziales Bewusstsein. Heute ist er zu dem Buzzword für progressive Unternehmen und Gruppen avanciert. Entsprechend geht es um Engagement, das mit sozialem Bewusstsein zu tun hat. Und da dieses eine ganze Bandbreite an Themen betreffen kann, ist Wokeness komplex. Um Klarheit zu schaffen lässt sich das Modell "4 Layers of Diversity" von Gardenwartz und Rowe heranziehen. Dieses bildet nämlich verschiedene Dimensionen der Vielfalt, darunter Geschlecht, Sexualität, körperliche Fähigkeiten sowie ethnische Zugehörigkeit ab, und setzt so einen thematischen Bezugsrahmen für Unternehmen, die fortschrittlich handeln möchten.
Wichtig dabei: Merkmale wie das Geschlecht, die oft von Diskriminierungstendenzen betroffen sind, sind unkontrollierbar und unveränderlich. Deshalb kann sich positiver Wandel nur dann einstellen, wenn Organisationen bereit sind, ihre internen Strukturen oder Geschäftspraktiken zu verändern. Ein häufiger Fehler ist es allerdings, flüchtig stereotypische Angebote zu entwickeln, um dem Druck des Markets zu genügen. Wer Diversity mit Erfolg umsetzen möchte, muss ganzheitliche Ansätze entwickeln.
Auch wenn Umstrukturierungen wie diese kurzfristig mit Kosten und Mühen verbunden sind, fördern sie langfristig den Unternehmenserfolg: Unternehmen mit einem definierten Rahmen für Diversity verbessern ihr Employer Branding, erhöhen ihre Kundenzufriedenheit sowie -loyalität und entwickeln innovativere Lösungen. Eine aktuelle Studie hat sogar ergeben, dass Unternehmen mit weiblichen Führungskräften mit 25% höherer Wahrscheinlichkeit besser performen als ihre Konkurrenz.
Social Media als Kontrollinstanz für Woke Washing
In der letzten Zeit wurden immer mehr Unternehmen beschuldigt Woke Washing zu betreiben. Allerdings bleibt es nicht nur bei Beobachtungen. Ähnlich wie bei Greenwashing-Fällen führt Woke Wahing nämlich zu Reaktionen der Stakeholder:innen. Darunter das Ende von Partnerschaften, der Verlust von Investor:innen, Boykott durch Verbraucher:innen oder Verschlechterung des Images.
Zum Beispiel lancierte Giltette 2019 eine virale Videokampagne gegen toxische Männlichkeit. Anstatt der gewünschten Reaktion erhielt sie aber Kritik und schlechte Resonanzen, da sie Darstellungen stereotyper Geschlechterrollen reproduzierte. Das Ergebnis: Doppelt so viele Dislikes wie Likes auf Social Media. Außerdem verlangte die Marke trotz Kampagne weiterhin die "Pink Tax" - eine Preisdiskrepanz, die auf als typisch weiblich klassifizierte Produkte erhoben wird. Ein krasser Widerspruch zwischen Botschaft und Geschäftspraxis.
Vorfälle wie diese zeigen, dass viele Unternehmen noch immer daran scheitern, holistische Konzepte zu entwickeln. Und sich auf die einfache - kosten- sowie zeiteffiziente - Option des reinen Marketings konzentrieren. Allerdings wirkt die Digitalisierung dieser entgegen: Aufgrund der Vernetzung auf sozialen Medien hat eine Machtverschiebung von den Unternehmen zugunsten der Arbeitnehmer:innen und Verbraucher:innen stattgefunden. Diese ermöglicht es ihnen, Unternehmen - wenn nötig anonym - zur Rechenschaft zu ziehen. Und zwar öffentlich sowie zeit- und ortsunabhänig. Also können substanzlose Marketingbehauptungen effektiver denn je entlarvt werden. So sorgt der sensibilisierte Teil der Gesellschaft für Aufklärung entlang verschiender, auch weniger informierter Gruppen, und erschwert den Prozess des Woke Washings.
Co-Creation & Learning als Basis für ganzheitliche Diversity-Strategien
Entgegen der verbreiteten Annahme, dass nur kleine Brands Botschaft und Werte in Einklang bringen können, zeigen immer mehr Mainstream-Akteure, wie es funktioniert. Beispielsweise hat Levi's die Glaubwürdigkeit seiner Kollektion zur Feier des Pride Month mit einem transparenten DE&I Impact Report untermauert. Trotzdem zeigen insbesondere aufstrebende Trailblazer, dass soziales Bewusstsein inhärent Teil ihrer DNA ist. So beweisen Marken wie Daily Paper oder Hanifa, dessen Founder PoC und Female sind, dass Gleichberechtigung keine Option, sondern eine Selbstverständlichkeit ist.
Source & Copyright by Daily Paper
Da die Veränderung bestehender Strukturen oft kompliziert ist, sollten sich etablierte Unternehmen sowie Brands von Young Talents inspirieren lassen und Kooperationen in Erwägung ziehen, um von ihnen zu lernen. Und sie gegebenenfalls durch andere Mittel - beispielsweise finanzielle - zu pushen. Win win. Zudem haben Marketingexperten ein sukzessives Vorgehen als wirksamstes Vorgehen zur Umsetzung eines ganzheitlichen Diversity-Rahmens identifiziert, sodass Lernprozesse einen authentischen Weg zur Umstrukturierung weisen. So wird Vielfalt nicht nur auf eine separate Initiative reduziert, sondern nach und nach in jede Tätigkeit sowie jeden Entscheidungsprozess integriert.
What's next?
Letztlich führt die zunehmende Vernetztheit unserer Gesellschaft dazu, dass Unternehmen häufig nicht mehr mit Woke Washing durchkommen. Der Umgang mit den negativen Konsequenzen eines solchen Vorfalls verlangt viel mehr Aufwand und Kosten als die Ausarbeitung einer holisitischen Diversity-Strategie. Wieso sollten Unternehmen also den unbequemen Weg des Woke Washings gehen und den Verlust ihrer Glaubwürdigkeit riskieren statt direkt umzudenken und die positiven Effekte von DEI zu nutzen?
Trotzdem zeigen uns noch immer einige Vorfälle, dass die Debatte über Vielfalt und Inklusion stark vom Medieninteresse getrieben wird - weshalb wir das Gespräch in Gang halten müssen.
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