Was ist wirklich drin in Cremes, Make-up & Co.? Diese Frage ist oft nur schwer zu beantworten dank Greenwashing und wenig Offenheit über die Herkunft der Inhaltsstoffe. Eine neue Untersuchung zeigt, wie groß das Transparenz-Problem in der Beauty-Industrie wirklich ist
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Autor: Nadja Schaer
Welche Inhaltsstoffe stecken eigentlich in unseren Kosmetik-Produkten – und woher stammen sie? Die Beauty-Brache ist bei ihren Lieferketten und Angaben zu den exakten Produkt-Formulierungen noch immer extrem undurchsichtig. Während Verbraucher:innen zunehmend nach ethischen und nachhaltigen Produkten suchen, hinkt die Industrie hinterher damit, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Eine kürzlich durchgeführte Studie der Nachhaltigkeitsplattform Good on You rückt diese Problematik jetzt in den Fokus und zeigt auf, dass die Branche noch einen weiten Weg vor sich hat. Von der kompletten Offenlegung von Inhaltsstoffen bis hin zu menschenwürdigen Arbeitsbedingungen gibt es für die Beauty-Industrie noch viel zu tun, um das Transparenz-Problem zu beheben.
Good on You macht Transparenz-Problem der Beauty-Industrie sichtbar
Den schönen Schleier, hinter dem sich die Praktiken der Beauty-Industrie verbergen, wurde jetzt von Good on You erstmal umfangreich gelüftet. Die Studie der Plattform umfasste 239 Make-up-, Haut- und Haarpflegemarken aus Nordamerika, Europa und dem asiatisch-pazifischen Raum. Dabei wurde eine Mischung aus etablierten und aufstrebenden Brands berücksichtigt. Diese breite Palette macht es möglich, ein repräsentatives Bild der Branche zu zeichnen. Die Methodik der Studie basierte dabei auf der Analyse von 42 verschiedenen Bereichen, die die gesamte Lieferkette abdeckten. Von der Gewinnung der Rohstoffe über die Herstellung bis hin zur Verpackung und der Entsorgung wurden alle relevanten Aspekte des Produkt-Lebenszyklus berücksichtigt.
Basierend auf diesen umfangreichen Daten entwickelte Good on You ein Bewertungssystem von eins ("Wir vermeiden") bis fünf ("Großartig"). Dieses System soll Verbraucher:innen ermöglichen, auf einen Blick zu erkennen, wie transparent und nachhaltig eine Marke insgesamt agiert. Durch diesen ganzheitlichen Ansatz hebt sich die Studie von früheren Untersuchungen ab, die sich auf einzelne Aspekte wie Tierversuche oder Verpackungen zu konzentrierten. Die neue Erhebung berücksichtigt hingegen das gesamte Spektrum der Nachhaltigkeits- und Ethikfragen in der Kosmetik-Industrie.
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Was steckt in unseren Beauty-Produkten?
Die mangelnde Offenlegung von Inhaltsstoffen ist ein zentraler Aspekt des Transparenz-Problems in der Beauty-Industrie. Die EU Kosmetik-Verordnung schreibt zwar vor, dass alle Inhaltsstoffe mit ihrer INCI-Bezeichnung (International Nomenclature of Cosmetic Ingredients) aufgeführt werden müssen und die Auflistung in absteigender Reihenfolge entsprechend des Gewichtsanteils erfolgen muss, aber es gibt Ausnahmen. So gilt die Regel nur für Inhaltsstoffe, die mehr als 1 Prozent des Produkts ausmachen. Ausnahmen bestehen zudem für Bestandteile aus Nanomaterialien, die gesondert gekennzeichnet werden müssen. Zudem dürfen Duftstoffe und Aromen mit wenigen Ausnahmen einfach unter den Sammelbegriffen „Parfüm“ oder „Fragrance“ zusammengefasst werden. So können sich unter einem Oberbegriff eine große Zahl an weiteren Stoffen verbergen, über die die Verbraucher:innen keinerlei Auskunft erhalten. Folgende Key-Findings macht die Untersuchung von Good on You:
- 75% der Marken veröffentlichen zwar Inhaltsstofflisten, geben aber keine klaren Informationen über die verwendeten Mengen an.
- Von den 90% der Marken, die Duftstoffe verwenden, legen 72% nicht offen, um welche spezifischen Inhaltsstoffe es sich handelt.
Auch bei der Herkunft der Inhaltsstoffe tappen die Konsument:innen oft im Dunkeln. Zwar muss auf der Verpackung gekennzeichnet werden, wo das Produkt hergestellt wurde, doch die Ursprungsorte der einzelnen Ingredienzien bleiben unklar. Hier könnte die Lebensmittelindustrie als gutes Beispiel dienen, wo anhand der EU-weit einheitlichen Lebensmittel-Kennzeichnung die genaue Herkunftsangabe der Hauptzutat verpflichtend ist.
Wie steht es tatsächlich ums Tierwohl?
Die Frage der Tierversuche ist seit langem ein kontroverses Thema in der Kosmetikindustrie. Viele Verbraucher:innen legen großen Wert darauf, Produkte zu kaufen, die nicht an Tieren getestet wurden. In der EU sind Tierversuche mittlerweile verboten, doch das heißt nicht, dass alle Firmen, die ihre Produkte hier verkaufen auch komplett auf Tierversuche verzichten. Gerade für die internationalen Player ist dies nämlich fast unmöglich, denn in einigen Märkten, insbesondere in China, sind Tierversuche für importierte Kosmetika sogar gesetzlich vorgeschrieben. Aufgrund der komplexen Lieferketten können zudem viele Marken nicht garantieren, dass alle Zulieferer ebenfalls auf Tierversuche verzichten. Zudem fehlen einheitliche Standards. Schließlich gibt es keine global anerkannte Definition oder Zertifizierung für "cruelty-free" Produkte. Die Studie von Good on You belegt:
- Trotz der häufigen Verwendung des Labels "tierversuchsfrei" haben 78% der Kosmetikmarken keine offizielle Zertifizierung, die belegt, dass sie keine Tierversuche durchführen.
- Rund 22 % der untersuchten Brands sind als tierversuchsfrei zertifiziert, etwa durch die strengen Richtlinien von Leaping Bunny, PETA oder der Vegan Society.
- 18 % der Marken, die sich als tierversuchsfrei bezeichnen, gehören zu Mutterkonzernen, die Tierversuche nicht grundsätzlich ausschließen.
- 30 % der Marken schweigen entweder vollständig zu Tierversuchen oder sind dafür bekannt, Tierversuche durchzuführen.
- 40 % der Marken geben klar an, dass sie tierische Inhaltsstoffe verwenden (z. B. Kollagen, marines Kollagen, Lanolin, Keratin, Elastin, Squalen), während viele andere Marken zu diesem Thema keine klare Aussage treffen.
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Sind Refill-Produkte wirklich sustainable?
Auch bei der Verpackung hat die Beauty-Industrie mit Transparenz-Problemen zu kämpfen. Klar, Einwegverpackungen aus Kunststoff sind die schlechteste Option, aber auch Refills sind nicht immer eine Lösung. So klingen Nachfüllprodukte zwar theoretisch vielversprechend – man kauft die Verpackung einmal und kann sie dann immer wieder nachfüllen. Doch in der Praxis sind Refill-Optionen oft schwerer verfügbar und werden auch von den Verbraucher:innen nicht im gewünschten Umfang genutzt, was die Nachforschungen von Good on You bestätigen:
- 15% der Marken bieten für mehr als ein Drittel ihres Sortiments nachfüllbare Produkte an.
- Allerdings verfolgen und berichten nur 2% über wiederholte Käufe, was Fragen zur tatsächlichen Nutzung dieser Option aufwirft.
So verpufft der gut gemeinte Refill-Ansatz oft dadurch, dass das Angebot nicht flächendeckend ausgebreitet und entsprechend wenig angenommen wird. Ohne, dass Firmen die tatsächliche Nutzung ihrer Refill-Optionen nachverfolgen, kann es hier schnell zu Greenwashing kommen.
Wie ethisch ist die Herstellung der Kosmetik-Artikel?
Viele Beauty-Marken bewerben selbstbewusst ihre Umweltinitiativen. Bei Fragen zu Arbeitsrechten in den Lieferketten der Schönheitsindustrie sieht die Sache jedoch anders aus – hier herrscht oft großes Schweigen. Fest steht, dass es kaum Belege dafür gibt, dass Marken ernsthafte Maßnahmen ergreifen, um ihren Arbeitern entlang der Lieferkette ein existenzsicherndes Einkommen zu zahlen. Das ernüchternde Fazit von Good on You:
- 84 % der Marken unternehmen keinerlei öffentlich bekanntgegebene Maßnahmen, um die Zahlung existenzsichernder Löhne in ihren Lieferketten sicherzustellen, was auf ein erhebliches Menschenrechtsproblem in der Branche hinweist.
Eine der Herausforderungen besteht sicherlich darin, dass die Lieferketten in der Beauty-Industrie extrem komplex sind. Das kann aber keine Entschuldigung dafür sein, die Mitarbeiter:innen entlang der Wertschöpfungskette nicht nach ethischen Standards zu entlohnen.
Wer sind die Vorreiter und wer die Nachzügler?
Das traurige Resultat der Studie von Good on You: Nur 1% der untersuchten Kosmetikmarken erhielten die Höchstbewertung von fünf Punkten ("Großartig"). Mit 53 % bekamen über die Hälfte der ausgewählten Brands eine Bewertung von nur zwei Punkten („Nicht gut genug“). Immerhin konnten 28% drei von fünf möglichen Punkten („Immerhin ein Anfang“) ergattern. Vor allem kleine Unternehmen und Nischenmarken konnten sich mit ihren nachhaltigen Praktiken und hoher Transparenz hervortun:
- Die fünf bestbewerteten Marken insgesamt waren Disruptor London, Odylique, Upcircle Beauty, Tropic und Pai Skincare.
- Bei den größeren Marken (definiert durch einen Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro) führten Youth to the People, Garnier und Lush die Liste an.
- Die schlechtete Wertung mit je 0 Punkten erhielten die Brands Druni, Loris Parfum, Bleu Libellule, Nature Republic, Morphe, Mad Parfums und Ben Sherman.
Wie wählt man Beauty-Produkte mit Bedacht?
Wie die Studie zeigt, müsse die Bemühungen um mehr Transparenz von der Beauty-Industrie zukünftig extrem verstärkt werden. Dabei können wir als Konsument:innen auch selbst etwas tun, um den Wandel voranzutreiben und bewusstere Entscheidungen zu treffen:
- Inhaltsstoffe checken: Auch wenn die Informationen auf den Produktetiketten oft unvollständig sind, lohnt es, sich die Zeit zu nehmen, die aufgeführten Inhaltsstoffe unter die Lupe zu nehmen und zu recherchieren, was genau sich hinter den einzelnen Bezeichnungen verbirgt. Hier können Online-Tools wie z.B. die Suchmaschine von Haut.de oder die Seite incidecoder.com helfen.
- Transparente Marken bevorzugen: Wer Marken supportet, die offen und ehrlich über ihre Inhaltsstoffe, Herkunft und Produktionsmethoden kommunizieren, setzt ein wichtiges Zeichen und einen Anreiz für andere Unternehmen in Sachen Transparenz nachzuziehen.
- Auf Zertifizierungen achten: Am besten nach Produkten greifen, die mit unabhängigen Zertifizierungen oder Siegeln feste Transparenz- und Qualitätsstandards garantieren.
Durch diese bewussten Entscheidungen können wir nicht nur nach unseren eigenen Werten handeln, sondern auch Druck auf die Beauty-Industrie ausüben, transparenter zu werden.
Fazit: Das Transparenz-Problem in der Beauty-Industrie braucht mehr Aufmerksamkeit
Während im Mode-Bereich Transparenz schon seit Jahren ein großes Thema ist, bewegte sich die Beauty-Industrie bisher unter dem Radar. Dabei ist das Transparenz-Problem in der Kosmetik-Branche, wie die aktuelle Studie von Good on You zeigt, gravierend. Indem Hersteller wichtige Informationen über Inhaltsstoffe, Herkunft und Produktionsmethoden vorenthalten, erschweren sie es den Konsument:innen, fundierte Entscheidungen zu treffen, die ihren persönlichen Werten und Präferenzen entsprechen. Außerdem braucht es bessere gesetzliche Regelungen, um Greenwashing und Verschleierung von bedenklichen Zusätzen in den Produkten zu vermeiden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Beauty-Industrie in Zukunft Produkte anbietet, die tatsächlich gesund für die Haut und zugleich gut für die Umwelt sind.
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