New Norms: Was Krisen und Digitalisierung für Luxusmarken bedeuten

Nachhaltigkeit, Metaverse und Web 3.0 bestimmen die Neuerfindung der Luxusbranche - Simon Owen über richtungsweisende Synergien

Interview Simon Owen, Partner & CEO of Anomaly Berlin

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Autor: Haus von Eden

Luxusmarken befinden sich im Umbruch. Traditionelle Kommunikations- und Geschäftsmodelle erweisen sich als immer weniger effektiv - outdated. Und zwar, weil sie bis dato ausschließlich auf einer konservativen Vorstellung, die auf Exzess und exklusiven Barrieren fußt, beruhten. Heute haben sich sowohl Zielgruppe als auch Werte verändert: Generation Z und Nachhaltigkeit bestimmen den Luxusmarkt der Zukunft. Aber auch Krisen und die voranschreitende Digitalisierung bestimmen die Entwicklung des Marktes. Was die Luxusbranche also braucht, sind neue Lösungen sowie innovatives Marketing, die auf veränderte Konsumentenbedürfnisse und im Allgemeinen auf einen neuen Zeitgeist reagieren.

Die New Model Agency "Anomaly" ist eine Antwort auf dieses Bewusstsein. Die Kreativagentur hat erkannt, dass es heutzutage buchstäblich eine Anomalie - eine Abweichung von der Norm - braucht, um erfolgreich zu sein. Mit diesem Konzept konnte sie sich als branchenführend positionieren, mit den größten Luxusmarken der Welt zusammenarbeiten und ihr Portfolio um ikonische Collaborations mit Rihanna oder dem verstorbenen Virgil Abloh erweitern. Im Interview spricht CEO von Anomaly Berlin, Simon Owen, über High-end Marken und Resilienz in Krisenzeiten, Bedürfnisse der Gen Z, Nachhaltigkeit und die Synergie zwischen Luxus und dem Web 3.0.

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Warum begehren Menschen eigentlich Luxusmarken und -produkte?

Für mich ist das eine subjektive Frage. Natürlich gibt es uralte Muster des Begehrens, der Exklusivität, der Einzigartigkeit oder des Status. In der heutigen Welt gibt es allerdings mehr Gründe für den Wunsch nach Luxus als je zuvor. Manche suchen nach Markenwerten. Andere suchen nach exquisiter Handwerkskunst, nach beständigen Dingen, nach Assoziationen oder einer überzeugenden Geschichte über Herkunft und Handwerk. Manche suchen wiederum nach sozialer Anerkennung, nach der höchsten Qualität von Design, Innovation und Materialien oder schlicht nach dem Recht auf Prahlerei. Für mich ist klar, dass die Gründe für den Wunsch nach Luxus weder einfach noch direkt sind. Ihre Motoren an und für sich sind schon faszinierend.

Inwieweit haben die jüngsten Krisen die Definition von Luxus verändert?

Vorweg: Viele Dinge bleiben bestehen. Allerdings haben sich einige kritische - und sehr wichtige - noch stärker ausgeprägt. Meiner Meinung nach ist die Zunahme der egoistischen Ausgaben ("selfish spending") oder Racheausgaben ("revenge spending") eines der faszinierendsten Phänomene dieser Entwicklung.

Die Pandemie, Kriege, Krisen und die Situation am Rande einer globalen Rezession haben Luxus in vielerlei Hinsicht von einer Investition zu einer "wichtigen Sache" avancieren lassen. Zu einer Sache, die dafür sorgt, dass Menschen sich wieder wohl fühlen. Zumindest temporär. Und wer kann es den Menschen verübeln? Nach Beschränkungen, Verboten und Inflation sind Luxuselemente - ob erschwinglicher sowie zugänglicher oder exzessiver Luxus - zu einem Weg für Menschen geworden, die Kontrolle zurückzufordern. Und sich in gewisser Weise dafür zu "belohnen", dass sie alles ertragen.

Außerdem erkennen immer mehr Instanzen die Beständigkeit von Luxusmarken als Anker oder Quelle des Trosts in Zeiten emotionaler Unruhen an. Das kann ich gut nachvollziehen. Natürlich sind Ausgaben, die mit Nachsicht getätigt werden, nichts Neues. Aber die Menge sowie das Ausmaß, in denen sie aktuell getätigt werden, weisen darauf hin, dass sich die Auffassung darüber, was Luxus bedeutet, verändert hat.

Wieso schrumpft der Absatzmarkt für Luxusgüter in Krisenzeiten nur wenig und wie reagieren Luxusmarken?

Hier gibt es einige offensichtliche Faktoren, wie zum Beispiel die Resilienz der Luxusbranche. In der Regel betreffen Krisen wohlhabendere Menschen weniger als finanziell schwächer Gestellte. Also sind Luxusmarken Krisenzeiten oder wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber unempfindlicher als Marken aus anderen Preissegmenten. Das ist allerdings nur ein Grund - wahrscheinlich gibt es noch eine Reihe anderer Ursachen. Revenge spending, wie bereits erwähnt, könnte eine davon sein. Die Menschen hatten einfach mehr denn je das Bedürfnis, sich etwas zu gönnen.

Ein weiterer interessanter Grund ist, dass die Luxusbranche in den letzten Jahren gezwungen war, sich massiv neu zu erfinden. Was wohl seit Jahren überfällig war. Diese Reinvention hat sich teils zufällig in Zeiten der Krise vollzogen, der Großteil wurde allerdings als ihre direkte Folge angestoßen. Wie klassische Luxusmarken, darunter Rimowa, Tiffany, Balenciaga und Gucci, sich selbst neu erfinden, geht weit über ihre Botschaften hinaus. Sie stellen die Art und Weise, wie sie kommunizieren und verkaufen, in Frage.

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Ob Burberrys Vorstoß in den echten digitalen, sozialen, Web3- und Social-Commerce-Bereich oder die Aussage des Präsidenten und CEO von Gucci, dass "Gucci immer darauf bedacht ist, neue Technologien zu nutzen, wenn sie unseren Kunden ein verbessertes Erlebnis bieten können" - Luxusmarken haben sich stark an die Zeit angepasst, um die Auswirkungen der zahlreichen Krisen, mit denen wir konfrontiert sind - und sein werden - zu minimieren. Dies alles hat zweifellos dazu beigetragen, die "Lücke zu schließen".

Welchen Vorteil haben Luxusmarken, die auf moderne Konsumentenbedürfnisse wie Nachhaltigkeit eingehen?

Wir haben viel mit unseren Premium- und Luxuskunden daran gearbeitet, auf diese Bedürfnisse einzugehen. Dabei haben Luxusmarken einige Vorteile wie ihre schiere Sichtbarkeit und ihren Einfluss. Man muss sich nur die Verpflichtung von Moncler ansehen, bis 2024 pelzfrei zu werden, um zu wissen, dass die Auswirkungen eines solchen Schrittes in der Popkultur enormes Gewicht haben.

Langlebigkeit und Investitionen sind weitere wichtige Punkte, über die wir oft sprechen. Die große Bewegung gegen Fast Fashion (und all die damit verbundenen Übel) führt direkt zu einem der wichtigsten Gründe für den Kauf von Luxusartikeln: Die Qualität der Materialien und der Handwerkskunst stellen sicher, dass die Anschaffung - auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt teuer ist -  eine langfristige Investition ist. Die lebenslange Garantie von Rimowa, die die Notwendigkeit alle paar Jahre einen neuen Koffer zu kaufen und somit die verbundenen Materialkosten zu verschwenden verringert, verdeutlicht das. Und auch der zeitlose Claim von Patek Philippe, "You never actually own a Patek Philippe. You merely look after it for the next generation", spricht dafür.

Welche Rolle spielen Web 3.0 und das Metaverse bei der Neuerfindung der Luxusindustrie?

Ein guter Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass Luxus im Web 2.0 tatsächlich ziemlich gut funktioniert hat. Mehr persönliche Daten motivierten die Kreativität und brachten Unternehmen enorm voran. Das Web 3.0 ist allerdings massiv, radikal sowie hochkomplex. Und, um ehrlich zu sein, noch immer nur wenig verstanden. Niemand hat bisher alle (oder auch nur viele) Antworten parat. Aber unsere Arbeit bei Anomaly zeigt, dass das Web 3.0 eine große Chance für Luxusmarken darstellt, um ihre Bedeutung für eine neue Generation zu entdecken und auszudrücken.

Im Kern bedeutet Web 3.0 Dezentralisierung - die Abschaffung von Gatekeepern sowie die Rückgabe der Schlüssel zum Internet an den Einzelnen. Und obwohl die Dezentralisierung historisch gesehen weniger im Mittelpunkt der Luxusagenda steht - immerhin hat sie versucht, Barrieren zu schaffen und die Dinge um Einzelpersonen wie Kreativdirektor:innen und Kollektionsdesigner:innen herum zu zentralisieren - sind die Aufwertung individueller Erfahrungen, das Infragestellen von Normen und die Förderung von Kreativität Dinge, die Web 3.0 und Luxus gemeinsam haben.

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"Web 3.0 und Luxus könnten eine Reihe von unglaublichen, zukunftsweisenden Dingen hervorbringen. Zum Beispiel: Nachhaltigkeit - Vertiefung des Gefühls der Verbundenheit und der Verantwortung der Branche gegenüber all ihren Stakeholder:innen, was durch die Rückverfolgbarkeit durch die Blockchain ermöglicht wird."

Was die Synergie außerdem fördern kann: Artifizierung. Ein großartiger Begriff, der von JN Kapferer geprägt wurde und im Hinblick auf das Web 3.0 noch relevanter wird, da es eine Plattform für die Hervorhebung und Ermöglichung aller Ausdrucksformen des Selbst und der Kreativität bieten kann. Drittens bringt das Zusammenspiel aus Web 3.0 und Luxus mehr Substanz. Es steht für die Bereicherung des Wesentlichen über alle parallelen Dimensionen hinweg in mehreren Dimensionen. Was auch immer das Web 3.0 wirklich bringt, es wird Spaß machen, es zu beobachten!

Wie vermittelt man authentische und wirkungsvolle Botschaften in den sozialen Medien, um das neue Luxuspublikum (Gen Z & Y) zu erreichen?

Für mich ist das der Punkt, an dem Luxus wirklich zum Tragen kommt. Bei Luxus ging es schon immer darum, sehr wirkungsvolle und kulturprägende Aussagen zu machen. Und heute geben die sozialen Medien dem Ganzen ein gewaltiges Sprachrohr. Da die Generation Z bis 2026 60% der Luxuskonsument:innen ausmachen wird (zumindest laut BCG), kann man ihren Wunsch nach Authentizität und Verantwortung einfach nicht ignorieren. Auf allen Plattformen, aber insbesondere im digitalen Raum.

Es ist leicht, sich in den sozialen Medien zu verlieren, wenn man unoriginell ist. Wenn man nichts Relevantes oder Innovatives zum kulturellen Diskurs beiträgt. Aber wenn man ein echtes Statement abgibt, wenn man originell ist, wenn man etwas sagt, das nicht nur Resonanz findet, sondern auch inspiriert, dann stellt man sicher, dass man nicht untergeht. Ob das nun die Wirkung eines Balenciaga Runways oder eines Moncler-Spektakels zum 70. Jahrestag ist - es macht den Unterschied, ob man ein großes kulturelles Statement abgibt.

Welche internationalen kulturellen Trends sind führend und werden die Zukunft bestimmen?

Es gibt eine Vielzahl faszinierender Trends, die alle Bestand haben und Einfluss auf den Luxusmarkt haben können - oder auch nicht. Und wenn ich wüsste, welche davon die Zukunft bestimmen werden, wäre ich ein sehr reicher Mann. Es gibt allerdings einen kulturellen Trend, der sich hartnäckig hält und von dem ich glaube, dass er von Dauer sein könnte.

Pre-owned (oder im Luxusbereich besser gesagt "pre-loved") ist ein Trend, der seit einiger Zeit an Fahrt aufnimmt. Angetrieben durch die Einstellung der Gen Z, die Nachhaltigkeitsbewegung und den Aufstieg sowie die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft. Schauen Sie sich nur den Boom von Plattformen wie Depop an, die es in nur 10 Jahren von der Gründung bis zu einem Umsatz von 1,6 Milliarden Dollar gebracht haben. Und zwar mit einer Nutzerbasis von über 21 Millionen Menschen, von denen 90 % der Gen Z angehören. Dies bietet eine unglaublich interessante Dynamik für Luxusmarken, bei der es um mehr als gebrauchte Uhren geht, sondern darum, dass Nachhaltigkeit mehr und mehr zur Norm in verschiedenen Branchen wird.

Vielen Dank für das Interview, Simon.

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