"Es ist wichtig irgendwo anzufangen - 100% sind kein kurzfristiges Ziel, sondern eine Vision"
Julia Leifert - Gründerin ihres gleichnamigen Modelabels
Julia Leifert ist Gewinnerin des New Faces Award Style 2020. Mit ihrer gleichnamigen Designerbrand bringt sie deutsche Luxus Fashion auf ein internationales Niveau - Eine starke Frau mit einem bewussten Lifestyle lanciert High-End Kollektionen in Harmonie mit Ästhetik und der Umwelt. Ihr Ziel ist es, die Fashionbranche für mehr Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Julia Leifert steht für einen holistischen Ansatz des Sustainable Luxury. Bei uns verrät die Ausnahme-Designerin, warum Fast Fashion ein Problem ist, was sich nach der Corona-Krise ändern muss und warum Sustainability oftmals als Trendthema missbraucht wird.
Die heutige Kurzlebigkeit von Produkten ist zentrales Problem der Modebranche
Eines der zentralen Probleme der heutigen Modebranche ist ihre Schnelligkeit und die damit verbundene Kurzlebigkeit der Produkte. Nach dem Motto „Immer billiger, immer schneller, immer mehr“, sollen Kunden kontinuierlich zum Kauf neuer Waren angeregt werden. Das führt dazu, dass jährlich unfassbare Mengen an Kleidung produziert werden. Und zwar nicht zu selten unter dem bereits vorab einkalkulierten Aspekt, dass vieles davon gar nicht verkauft werden wird.
„Allein in Deutschland werden jährlich 391.752 Tonnen Textilien entsorgt, indem sie auf Mülldeponien landen oder schlicht verbrannt werden.“
Die Qualität ist minderwertig und die Arbeitsbedingungen vielerorts katastrophal. Diese Produkte überfluten den Markt zu immer früheren, mittlerweile völlig azyklischen Zeitpunkten. Dabei kommt es zu Rabattschlachten unter den Händlern, um auch den letzten Kunden in ihre Läden zu bekommen. Das wiederum bedeutet, dass die Halbwertszeit eines Produktes, zu der es zu vollem Preis verkauft werden kann, immer kürzer wird. Und letztlich landen gigantische Mengen überproduzierter Produkte einfach auf dem Müll – viele ohne je getragen worden zu sein.
Copyright by Julia Leifert - Autumn/Winter Collection 2019
Diese Entwicklung der „Fast Fashion“ gibt es in dem Ausmaß, wie wir es heute kennen, erst seit gut 20 Jahren. Damit verbunden entsteht ein weiteres Problem: Das der Umweltbelastung und der Schröpfung der Natur. Beispielsweise verbraucht der konventionelle Anbau von Baumwolle und ihre Weiterverarbeitung enorme Mengen an Wasser. Wasser, ein Gut, das in den primären Anbaugebieten wie Indien oder China ohnehin knapp ist.
Ein weiteres Beispiel für umweltschädliche Aktionen der Branche: der Verbrauch von Polyester
Während der Verbrauch von Polyester im Jahr 2000 noch bei 8,3 Millionen Tonnen für Bekleidung lag, ist dieser bis heute um 160% gestiegen. Tendenz steigend. Und zwar trotz der Tatsache, dass Polyester eine Kunstfaser aus nicht erneuerbarem Erdöl ist, die als Sondermüll deklariert werden muss. Entgegen vereinzelter Maßnahmen wird bis heute nur 0,1% des Polyesters recycled – in unzureichender Qualität, da es in der Regel nicht sortenrein ist.
Leider ist die Tendenz der Beschleunigung der Mode und der immer schneller auf dem Markt aufschlagenden Kollektionen ein Phänomen, dass nicht nur bei vertikalen Bekleidungsketten zu sehen ist. Früher gab es vielleicht eine Frühjahr-/Sommer Kollektion und eine für Herbst-/Winter. Heute kommen jeweils noch eine „Pre“ sowie „Resort“, „Holiday“, und diverse „Capsule“ Collections pro Jahr dazu. Angesichts der globalen Modewelt gibt es fast keinen Zeitpunkt mehr im Jahreskalender, an dem nicht irgendwo eine Fashion Week stattfindet.
„Auch Modedesigner produzieren immer mehr Saisons, getrieben von Zahlen und der Hoffnung immer schneller mehr Ware abzusetzen.“
Gerade jetzt ist dieses System im Angesicht der Pandemie zusammengebrochen und fast zum Erliegen gekommen. Was unvorstellbare finanzielle Verluste zur Folge hat. Im Luxussektor werden bis zu 40% Umsatzeinbußen in den ersten 2 Quartalen 2020 erwartet. So ist ein Umdenken nicht nur dringend erforderlich, sondern unabwendbar, da das schon vorher krankende System derzeit an seine Grenzen stößt.
Mode ist für mich seit früher Kindheit eine Leidenschaft und Healthy Living eine Selbstverständlichkeit
Bereits als Jugendliche und Teenager habe ich in der Schule und in meiner Freizeit selbstentworfene Designs getragen. Das war ganz und gar nicht üblich in meinem Umfeld. Dazu bin ich sehr naturverbunden aufgewachsen. Meine Schwester und ich haben bereits früh von unseren Eltern gelernt, was es heißt Verantwortung zu übernehmen und einen bewussten Umgang mit der Natur, Tieren und unseren Ressourcen zu pflegen. Heute bin ich dafür sehr dankbar. Vieles, was heutzutage als „nachhaltig“ oder „Healthy Living“ bezeichnet wird, ist für mich seit jeher selbstverständlich und Teil meiner Lebenseinstellung.
„Ich merkte, dass ich mich zwar in der Welt der Mode, aber nicht in dieser Industrie zu Hause fühle.“
Nach meinem Abschluss in Jura wechselte ich in die Modebranche und war entsetzt, welche schlechten Bedingungen in der Industrie herrschen. Gerade in den Fabriken im fernen Osten herrschen unfassbare Zustände, die an Sklaverei erinnern. Ich merkte, dass ich mich zwar in der Welt der Mode, aber nicht in dieser Industrie zu Hause fühle. Deshalb begann ich nach ethischen und nachhaltigen Alternativen, die gleichzeitig einen hohen modischen Anspruch besitzen, zu suchen. Das endete darin, dass ich 2014, letztlich eher als eine Art Projekt und wegen des Mangels an Alternativen, mein eigenes Label gründete, dass ich nun seit 2016 professionell etabliert habe.
Copyright by Julia Leifert - Spring/Summer Collection 2020
Anfangs hatte ich keine Ahnung, was es heißt ein Unternehmen zu gründen – geschweige denn, was es braucht, um ein unabhängiges Modelabel aufzubauen. Design, Sourcing und Produktion im nachhaltigen Bereich folgen nicht den konventionellen Mustern und waren nicht nur für mich absolutes Neuland. Ich konnte auf nichts zurückgreifen und musste alles von Null anlernen und erarbeiten. Bis heute bin ich vor allem von der Leidenschaft und Neugier für Innovation, alternativen Ideen und einem gewissen Glauben getrieben: Dem Glauben, dass es die Möglichkeit gibt, nicht nur Basic-Bekleidung, sondern auch Designer Mode fair und nachhaltig zu entwerfen und zu produzieren. Schnell hat der Erfolg mir recht gegeben, dass ich auf meiner Suche nach einem neuen Weg für die Mode nicht alleine bin. So bin ich heute überzeugter denn je, dass wir grundlegend etwas ändern müssen und können.
Nachhaltigkeit ist inzwischen immer öfter Thema in der Bekleidung und Mode
Das ist eine schöne Entwicklung. Es gibt immer mehr Brands, die – wie ich – ein Unternehmen gründen. Dazu setzen sich bestehende Marken mehr mit ihrer Arbeitsweise sowie Materialien auseinander und erarbeiten neue Lösungsansätze. Auch, wenn inzwischen selbst vertikale Bekleidungshersteller einzelne Linien nachhaltig(er) gestalten, darf dennoch eines nicht vergessen werden: Es ist nach wie vor ein extremes Nischenthema.
„Nachhaltigkeit ist ein trendiges Thema, weshalb es leider oft als Verkaufsargument missbraucht wird, um Kunden zu ködern.“
Nachhaltige Strukturen sind teuer und erfordern viel Engagement. Gerade holistische Nachhaltigkeit, wie ich sie verstehe, wird von den Wenigsten umgesetzt, da sie nicht nur die Verwendung ökologischer Materialien miteinbezieht. Es geht um CO2-Reduktion, faire Arbeitsbedingungen, zirkulare Lösungen, tier- und umweltfreundliche sowie plastikfreie Innovationen und soziale Verantwortung. Jeder kann den Begriff für sich frei definieren und verwenden. Dazu gibt es keine Regelungen und auch Siegel helfen nur selten weiter.
Copyright by Julia Leifert - Autumn/Winter Collection 2019
Aufstrebende Designer jeder Ära haben sich mit den Themen ihrer Zeit befasst
Design und Mode ist immer ein politischer und gesellschaftlicher Spiegel der jeweiligen Zeit. Das ist heute nicht anders, als es in den 60ern, 70ern oder 90ern war. Jede Epoche sowie jede Kultur hat hierbei ganz eigene Werte und Visionen. Entsprechend werden diese in Kunst, Musik und Mode aufgearbeitet. Wir Designer denken heute vielleicht etwas globaler und haben andere Tools für die Kommunikation unserer Mode. Dennoch beschäftigt sich Mode stets auch mit der Sicht des Designers auf die Geschehnisse in der Welt. Die Ereignisse, die sie oder ihn prägen und die eigene Geschichte, die Ausdruck findet in den Entwürfen. Ich denke das wird immer so sein.
Traditionelle Handwerkskunst macht den Unterschied zur Massenware
Zu Beginn meiner Reise war die Materialsuche eine der großen Herausforderungen. Ich arbeite ausschließlich mit hochwertigen und exklusiven Stoffen aus dem Europäischen Raum. Als ich meine Recherche begann, war es für viele Stoffvertriebe oder Hersteller allerdings unüblich, sich auf den Ursprung, den Anbau oder die Verarbeitung von Rohstoffen zu verstehen. Ihren Lieferanten selbst solche Fragen zu stellen, kam ihnen seltsam vor. Entsprechend schwer war es, an Informationen zu kommen. Ich bin sehr viel gereist, habe viel hinterfragt und dabei sehr viel gelernt.
„Viele dachten ich bin verrückt, als ich all die kleinen Details über die Stoffhersteller wissen wollte.“
Ebenso war es schwierig Produktionen zu finden. Ich fertige in einem Umkreis von 150 km rund um Berlin. Die Lokalität ist mir sehr wichtig, da ich einen sehr engen Bezug zu meinen Produktionen pflege. Ich arbeite mit kleinen von Frauen und Familien geführten Handwerksbetrieben zusammen, die sich auf hochwertige Maßschneiderei spezialisiert haben. Ich setze auf traditionelles Handwerk, da ich es so einerseits wirtschaftlich am Leben halten kann und da es andererseits den entscheidenden Qualitätsunterschied zur Massenware ausmacht. Seitdem die Modeindustrie in die asiatischen Staaten und Afrika abgewandert ist, gibt es nur noch sehr wenig Industrie in Deutschland und den Nachbarländern. Es war also alles andere als leicht geeignete Betriebe zu finden, die zu meiner Philosophie passen.
Copyright by Julia Leifert - Spring/Summer Collection 2020
Der erste Schritt zur nachhaltigen Mode ist es, den eigenen Konsum zu hinterfragen
Der erste Schritt zur nachhaltigen Mode ist es, den eigenen Konsum zu hinterfragen und zu überlegen: Shoppe ich aus Langeweile, oder weil ich wirklich etwas Neues brauche? Oft wird Bekleidung eher als eine Art Wegwerfartikel nebenbei konsumiert. Um des Aktes des Kaufens willen. Hier ist es schon ein großer Gewinn, sich klarzumachen, dass wir nicht noch das zehnte T-Shirt brauchen, von dem wir schon beim Verlassen des Ladens wissen, wir werden es eigentlich eh nicht tragen. Mode hat auch etwas mit Emotionen und Erinnerungen zu tun, die in einem Kleidungsstück gespeichert werden. Daher ist es sehr viel schöner etwas Hochwertiges, was man gerne, oft und lange tragen kann, zu kaufen, da es viele schöne Erinnerungen birgt.
Von den Designern wäre es wichtig nach der Corona-Krise weniger Saisons zu sehen
Jeder hat seinen eigenen Ansatz Nachhaltigkeit in die Unternehmenskultur zu integrieren. Ich finde es großartig, wenn so etwas passiert. Das heißt nämlich, dass der Umsetzung ein viel früherer, gedanklicher Prozess vorausgeht, der in der Regel weitere anstößt. Niemand ist perfekt.
„Wir arbeiten in einer Branche, die Artikel herstellt, die eigentlich niemand wirklich zum Überleben braucht. Das dürfen wir bei aller Liebe zur Mode nicht vergessen.“
Es ist wichtig irgendwo anzufangen – ganz gleich, ob es noch ein langer Weg ist, bis etwas „100%“ ist. 100% sollten nicht das kurzfristige Ziel sein, sondern eine langfristige Vision. Veränderung braucht Zeit und gerade bei über viele Jahre gewachsenen Strukturen ist ein radikaler Wandel weder ratsam noch wirtschaftlich sinnvoll. Ein wichtiger Schritt wäre es schon, wenn wir weniger Saisons sehen würden, nachdem die Coronakrise überwunden wurde. So bleibt die bereits produzierte Ware, die jetzt in den Stores ist und in den kommenden Wochen nicht verkauft werden kann, länger im Umlauf.
Julia Leifert als Designerbrand sowie Botschafterin für Nachhaltigkeit
Mit meiner Designerbrand werbe ich für die Rückbesinnung auf die Wertigkeit von Mode und Handwerk. In 10 Jahren möchte ich gerne als etablierter Teil der „Deutschen Mode“ im In- und Ausland wahrgenommen werden. So hoffe ich, die Modewelt für einen bewussteren und besseren Umgang zu sensibilisieren und die Modeindustrie von morgen mitzugestalten.
Herzlichen Dank für das Interview liebe Frau Leifert!
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