Nachhaltiger Kaviar: Vom Ausdruck der Opulenz zum Responsible Luxury?

Nachhaltiger Kaviar, gibt es das überhaupt? Wir klären auf und demystifizieren das Prestigeprodukt, denn heute stammt der Rogen aus Aquakulturen

Kaviar nachhaltig
Source & Copyright by Altonaer Kaviar Import Haus

Autor: Haus von Eden

Neben Safran, Trüffel und Hummer ist Kaviar das Prestigelebensmittel in Sachen Genuss. Zugleich oft als unantastbar angesehen, assoziiert mit Kristallschalen, Champagner und Haute-Cuisine, dabei verzehrt von der High-Society - Oder? Nicht ganz, denn Kaviar feiert derzeit sein modernes Revival. Anlass mit Vorurteilen sowie Mythen aufzuräumen. Denn der abstrakte Luxus rund um Tonnen von wildem Kaviar aus dem Kaspischen Meer ist passee. Der Störrogen stammt heute aufgrund legaler sowie tierschützender Restriktionen aus Zuchten bzw. Aquakulturen. Doch ist das nachhaltiger Kaviar?

Beluga, Sevruga & Co. - Welche Kaviarsorten gibt es überhaupt?

Je größer, desto besser - Je heller, desto besser. So die Go-To Faustregel, wenn es um Kaviarsorten geht, dessen Bezeichnungen jeweils von der Art des Störs stammen. Wirtschaftliche sowie gesellschaftliche Bedeutung haben dabei insbesondere 4 Sorten:

  1. Beluga Kaviar (Huso Huso): Der Rogen des Europäischen Hausen ist am teuersten, bekanntesten und für viele auch am leckersten. Seine Zucht gilt als besonders zeit- sowie arbeitsintensivsten. Die bis zu 3,5 mm großen, hellgrau- bis anthrazitfarbenen Körner haben den typischen mild-cremigem Geschmack.
  2. Osietra/Ossetra Kaviar (Acipenser gueldenstaedtii): Aus dem Kaspischen Meer stammend mit großer Bedeutung für die Russische Industry. Die circa 3 mm großen Perlen sind fester und kleiner, variieren farblich zwischen goldschimmernd, silbergrau und schwarz. Geschmacklich: ausdrucksstark und leicht nussig.
  3. Sibirischer Kaviar (A. baerii): Dieser stammt ursprünglich aus Flüssen in Russland, Kasachstan und der Mongolei. Sein schwarz- bis anthrazitfarbener Rogen ist mit 1,5 bis 2,5 mm kleiner, dafür allerdings kräftig-würzig.
  4. Sevruga Kaviar (A. stellatus): Die gräulichen, empfindlichen Rogen des Sevruga-Störs sind besonders würzig mit jodigen Meeresaromen. Während er heute aus der Zucht stammt, ist sein natürlicher Lebensraum das Schwarze, das Asowsche Meer sowie das Kaspische Meer.
  5. Keta Kaviar: Neben dem "echten" Störkaviar gelten der Kaviar vom Lachs und auch Forellen-, Saibling- und Hechtrogen als kulinarische Alternativen. Optisch unterscheiden sich die Trendkaviarsorten, die man vom Sushi kennt, allerdings sichtlich durch ihr oranges Korn und sind preislich durchaus erschwinglicher.

Nachhaltiger Kaviar Schwarze Rogen

Source & Copyright by Altonaer Kaviar Importhaus

Oft sind Kaviardöschen im Verkauf zudem mit den Worten "Malossol" und "Imperial" geziert. Dass es sich dabei um Kaviarsorten oder Herkunftsbezeichnungen handelt, ist allerdings ein Trugschluss. Vielmehr bezeichnet Malossol die Zubereitung, Imperial eine Selektion. Im Russischen bedeutet Malossol "leicht gesalzen" und bezeichnet so Kaviar mit einem Salzgehalt zwischen 2,8-4%. Imperial bezeichnet daneben eine exklusive Auswahl besonders heller, goldbraun-schimmernder Körner des Osietra Kaviar.

Endangered: Der Stör als bedrohtes Lebewesen

Doch wie kam es überhaupt dazu, dass Kaviar so begehrt sowie der Stör so bedroht ist? Der Kaviar umgibt sich mit einer langen - circa 200 Millionen Jahre alten - Geschichte. Am Kaspischen Meer und an der Wolga wurden die Fischeier zunächst nicht als Delikatesse, sondern als Grundnahrungsmittel verspeist. Dies erweckte schnell Faszination bei den Zaren, Fürsten und Adeligen. Aufgrund seiner saisonalen Verfügbarkeit sowie kurzen Haltbarkeit stieg der Preis daraufhin exponentiell und es kam zur Überfischung. Seit den 1970er Jahren führte dies zur offiziellen Gefährdung der einst gesunden, wilden Störpopulation.

Kaviar nachhaltig

Source & Copyright by Altonaer Kaviar

Radikale Gefährdung bringt radikale Konsequenzen

Auch heute fördert die steigende internationale Nachfrage nach dem Prestigeprodukt seine wirtschaftliche Bedeutung und somit seine Gefährdung. Auf der anderen Seite sind allerdings auch das langsame Wachstum, die spät eintretende Fortpflanzungsfähigkeit sowie der komplexe Lebenszyklus des Fisches, behindert durch menschliche Eingriffe, ausschlaggebend. Es kommt zum Verlust von Laichgründen, der Blockade von Wanderrouten durch Staudämme, Verschmutzung von Gewässern und der Verbauung von Ufern, so die Umweltschutzorganisation WWF.

Laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN sind Störe die am stärksten vom Aussterben bedrohte Artengruppe der Welt. Deshalb essentiell: Das Washingtoner Artenschutzübereinkommen CITES erlaubt nur den streng kontrollierten kommerziellen Handel. 2006 wurde der Import von Wildkaviar verboten, 2009 folgte das gänzliche Verbot des Handels mit Wildfang in der EU. Erlaubt ist nur noch Ware aus Aquakulturen. Nachhaltiger Kaviar soll so in die Wege gebracht werden.

Ist nachhaltiger Kaviar mit Aquakulturen möglich?

Aquakulturen für Kaviar erfahren einen regelrechten Boom. Ausschlaggebend für authentischen Geschmack sind vor allem das Verfahren, das Know-How des Betreibers und Geduld. Denn Störe erreichen ihre Geschlechtsreife in geschlossenen Anlagen - je nach Art und Größe - erst nach 5-18 Jahren. In offenen Teichanlagen oder Netzgehegen kann es mitunter doppelt so lange dauern. Derzeit kultiviert China mit 85% global die meisten Störe. Europa folgt, wobei insbesondere Italien, Frankreich und Deutschland laut Kaviarexperten hochwertige Qualität versprechen. Place-To-Watch: Aktuell entstehen immer mehr Anlagen in Südamerika.

So funktionieren Aquakulturen

Bei Aquakultur handelt es sich jedoch nicht um ein Stör-Only-Phänomen. Mittlerweile werden 600 verschiedene Arten sowie die Hälfte des weltweit konsumierten Fisches durch die Zuchtkulturen gewonnen. Und zwar auf verschiedene Arten, die sich aufgrund des Delikatesse-on-Demand Trends immer weiterentwickeln. Die wichtigsten Produktionsmethoden sind:

  1. Teichwirtschaft: Die älteste sowie meist genutzte Form der Aquakultur. Aufzucht in (teilweise) künstlich angelegten Teichen. Bei intensiver Haltung: Gefährdung der Wasserqualität.
  2. Durchflussanlagen (Raceways): Hintereinander geschaltete Becken, in denen Wasser zirkuliert. Zu- und Abläufe ermöglichen die Aufzucht von Fischen unter kontrollierten Strömungsverhältnissen und konstanter Wasserqualität.
  3. Netzgehegeanlagen: Verankerung von Netzgehegen in natürlichen Gewässern. Fütterung, Kontrolle und Ernte werden durch Begrenzung erleichtert.
  4. Geschlossene Kreislaufanlagen: Von natürlichen Wasserquellen unabhängige Kombination aus Becken und Filtersystemen, die Wasser wiederaufbereitet und in Zuchtbecken zurückführt. Während sie aufgrund des technischen Aufwandes kostenintensiver als andere Aquakulturen sind, ermöglichen sie die ökologische Zucht mit minimalem Umwelteinfluss.

Nachhaltiger Kaviar aus Aquakulturen

Source & Copyright by Aquakulturinfo

Die Entscheidung für eine Methode oder die Kombination aus zweien variiert von Zucht zu Zucht. Während die Tiere indoor schneller wachsen, da ihnen durch Temperatur sowie Licht ein ewiger Sommer vorgespielt wird und auch die Wasserqualität konstant kontrolliert werden kann, sind sie outdoor den Jahreszeiten aussetzt. Das Ergebnis: Eine späte Erne. Dafür schwören viele, insbesondere Michelin-Sterneköche, auf ihre Qualität.

Vorteile von Aquakulturen

  • Kontrollierte Gewinnung auf bestandserhaltendem Niveau statt profitorientierte Überfischung
  • Verantwortungsvolle, legale Zucht statt illegale Wilderei und Wildfang
  • Verlässliche Qualität zu erschwinglicheren Preisen als zuvor
  • Aquakulturen können den Artenbestand schützen
  • Störzüchter arbeiten z.B. der Wiederherstellung wilder Populationen zu

Nachteile von Aquakulturen

  • Potentielle Umweltschäden, wenn Chemikalien, Nahrungsreste, Fischkot und Antibiotika aus offenen Anlagen in freie Gewässer gelangen
  • Verlust von wertvollen Lebensräumen wie Mangrovenwäldern, die Korallenriffe schützen
  • Gelangen Tiere aus Zuchtbetrieben in natürliche Gewässer durch offene Anlagen, so können diese durch eine vermehrte Ausbreitung einheimische Arten verdrängen
  • Fischfutter ist meist Fischmehl, gewonnen aus industriellen Wildfischen oder Gentechnik belastetem Soja, dies gilt vor allem für Raubfische wie Thunfisch, aber nicht für pflanzenfressende Fischarten wie dem Stör

Standards sowie Nachhaltigkeitsaspekte an denen sich Verbraucher sowie Händler orientieren können bringen die Aquaculture Stewardship Council (ASC) der WWF sowie Naturland- und Bio-Siegel. Grundsätzlich empfiehlt sich bei anderen Fischsorten stets der Konsum aus regionalem Fischfang, doch dies ist im Falle des Kaviars nicht zu vertreten.

Die Kaviarernte

Bis zur Geschlechtsreife werden junge Störe, auch Fingerlinge genannt, gemästet. Um die Entwicklung des Kaviars festzustellen, kommt ein Ultraschall zum Einsatz. Ist dieser zufriedenstellend, so wird der Rogen entnommen, gesiebt sowie nach Qualität - Festigkeit, Farbe, Geruch und Geschmack - sortiert. Da der Stör konventionell für die Gewinnung des Rogens geopfert wurde, ist es üblich, dass das Störfleisch zusätzlich als Lebensmittel verkauft wird.

Nachhaltiger Kaviar Delicatessen

Source & Copyright by Altonaer Kaviar Importhaus

Nachhaltiger Kaviar durch neue Stripping-Methoden?

Zum Schutz der bedrohten Wildstörpopulation empfiehlt die CITES ein neues Verfahren: Während der Stör konventionell zur Entnahme des Rogens geopfert wurde, erlauben neue Techniken die Entnahme auch ohne Tötung. Ein Ultraschall hilft dabei zur Lokalisierung des Rogens im Fisch. So kann der Kaviar mittels einer Massage durch die urigenitale Öffnung geerntet werden, wobei lediglich ein 2 mm langer Schnitt zur Entspannung der Muskeln nötig ist.

Dadurch ist das konventionelle Opfern des Störs nicht mehr notwendig, eine mehrfache Entnahme möglich und der Stör kann seine natürliche Lebensspanne erfüllen. Durch Stripping-Methoden ist der Rogen jedoch häufig näher am Laichen. Somit zu reif und für die Kaviarproduktion nicht nutzbar. In Verbindung mit Wasser sind ovulierte Eier nämlich klebrig und platzen sogar, sobald sie mit Salz in Berührung kommen.

Um den Abfall dieser als zu reif geltenden Störeier zu vermeiden, wurde in Deutschland eine neue Technik entwickelt. Diese macht die Außenmembran des Rogens widerstandsfähiger, ohne die gewünschten Eigenschaften zu verändern. Durch die Zugabe von Wasserstoffperoxid sowie Kalziumionen auf den reifen Rogen verhärtet sich die Membran. Dies ermöglicht eine herkömmliche Verarbeitung.

Nachhaltiger Kaviar bedarf Demokratisierung und Demystifizierung

De Facto ist es allerdings so, dass sich nicht alle Zuchten der neuen Methode bedienen. Für nachhaltigen Kaviar ist ein kritischer Blick auf die Herkunft entsprechend hinreichend und wichtig. So auch das Schaffen von mehr Bewusstsein, um gesellschaftlichen Druck auf Produzenten aufzubauen. Kaviar ist heute zunehmend ein Lebensmittel und kein exklusives Prestigegut. Das Produkt will demokratisiert sowie demystifiziert werden.

BRAND-GUIDE

NEWSLETTER
ANMELDUNG

Immer informiert über die neuesten Lifestyle Trends, Architektur, Design & Interior, sowie aktuelle Technologien rund um Nachhaltigkeit.

[ninja_form id=3]

Verwandte Themen
detox
Fit in den März mit dem 10 Punkte Easy Detox Plan Der Frühling naht - Entgiften Sie Ihren Körper ganz einfach mit unserem 10 Punkte Easy Detox Plan übers...
Fermentieren als wichtigster und spannendster Kochtrend 2022 Koji, Kimchi und Co. machen das Fermentieren wegen ihren gesundheitsfördernden Eigenschaften wieder zum...
HYKE-Gin
James Oag-Cooper über Innovation in der Lebensmittelindustrie Im Dialog mit dem Co-Founder von Hyke Gin - wie  Innovation und Kreativität die Getränkeindustrie...